Ex-Verfassungsrichter: Menschenwürde statt völkisches Kollektiv
Die Unantastbarkeit der Menschenwürde ist laut Ex-Verfassungsrichter Peter Müller die zentrale Aussage des Grundgesetzes. Diese gebiete, völkischem Nationalismus entgegenzutreten. Aber auch, ungeborenes Leben zu schützen.
Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Peter Müller hat unter Berufung auf das Menschenwürde-Konzept des Grundgesetzes völkischen Nationalismus verurteilt. Das Grundgesetz stelle in seinem Artikel 1 die Würde des einzelnen Menschen und deren Unantastbarkeit in den Mittelpunkt, sagte Müller in einer Fastenpredigt im Speyerer Dom vom Donnerstagabend, die am Freitag vom Bistum Speyer auf Youtube veröffentlicht wurde. „Anders als im Nationalsozialismus hat kein Kollektiv, keine wie auch immer definierte Volksgemeinschaft Vorrang vor dem einzelnen Menschen“, betonte Müller. Die Unantastbarkeit der Menschenwürde müsse daher „immer und ausnahmslos Grundlage all unseres Handelns sein.“
Dies führe dazu, dass „für willkürliche Diskriminierung und Ausgrenzung in der Verfassungsordnung kein Raum ist“, sagte der bis Dezember 2023 amtierende Verfassungsrichter. „Wenn alle Menschen die gleiche Würde haben, dann ist kein Raum dafür, dass deutsche Staatsangehörige klassifiziert und eingeteilt werden nur aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer vermuteten ethnischen Zugehörigkeit“, betonte Müller. „Das ist das Konzept des völkischen Nationalismus.“ Diese völkische Sichtweise unterscheide zwischen „Biodeutschen“ und „Passdeutschen“, die als „Deutsche zweiter Klasse“ betrachtet und letztlich mit dem Begriff „Remigration“ aufgefordert würden, das Land zu verlassen.
„Das missachtetet die Unantastbarkeit der gleichen Würde jedes Menschen fundamental“, sagte Müller. Rassismus und Antisemitismus verletzten die Werteordnung des Grundgesetzes, dessen Grundlage ein christliches Menschenbild sei.
Der Ex-Verfassungsrichter betonte auch, Artikel 1 fordere nicht nur die Achtung der Menschenwürde, sondern auch ihren Schutz. „Das gilt vor allem für diejenigen, die sich nicht selbst schützen können. Und dies gilt damit in besonderer Weise auch für ungeborenes Leben“, sagte Müller.
Es gelte hier, eine schwierige Konfliktsituation zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Mutter und dem Lebensrecht des Kindes zu bewältigen. „Wir haben darüber in unserem Land lang und sehr intensiv gestritten“, sagte der frühere saarländische Ministerpräsident und CDU-Politiker. Auch auf Grundlage der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sei schließlich ein Schutzkonzept entstanden, das zu einer erheblichen Befriedung in der Gesellschaft geführt habe. Dies unter dem Stichwort der „Entkriminalisierung“ nun noch einmal grundsätzlich in Frage zu stellen, sei angesichts einer bereits polarisierten Gesellschaft nicht klug, sagte Müller.