Europawahl – “Junge Erstwähler sind weniger festgelegt”

Politikwissenschaftler Thorsten Faas warnt davor, den Einfluss von jungen Erstwählern bei der Europawahl zu überschätzen. Der Experte verrät zugleich, worauf die Jüngeren besonders achten.

Am 9. Juni ist es soweit: Erstmals dürfen bei der Europawahl auch 16- und 17-Jährige ihre Stimme abgeben. Constantin ist einer von ihnen. Der Schüler aus Leipzig geht hin und wieder auf Demonstrationen, ist aber ansonsten nicht politisch engagiert, berichtet er im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Er freue sich aber darauf, im Juni zum ersten Mal wählen gehen zu dürfen. “Es gibt mir das Gefühl, in ganz kleinen Teilen etwas ändern zu können”, sagt der 17-Jährige.

Laut Politikwissenschaftler Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin werden die jungen Erstwähler allerdings keinen gewichtigen Unterschied bei der Europawahl machen. Insgesamt gibt es unter den bis zu 64,9 Millionen Wahlberechtigten in Deutschland bis zu 5,1 Millionen potenzielle Erstwähler. Das Mindestwahlalter bei der Europawahl war in Deutschland 2022 von 18 auf 16 Jahre abgesenkt worden.

“Man muss da realistisch bleiben”, erklärt Faas. “Wählen ab 16” führe lediglich zu einer moderaten Erweiterung und Verjüngung des Kreises der Wahlberechtigten. “Da kommen zwei Altersjahrgänge dazu. Das ist gut und schön, aber das wird keine Revolution auslösen.”

Nach einer jüngst veröffentlichten Jugendstudie rücken junge Menschen immer weiter nach rechts – unter anderem aus Sorge um die Sicherung des Wohlstands. 22 Prozent der Anfang des Jahres befragten 14- bis 29-Jährigen hatten auf die Frage “Wenn kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre: Welche Partei würdest du wählen (Zweitstimme)?” mit “AfD” geantwortet.

Faas leitet derzeit eine von der Friedrich-Ebert-Stiftung geförderte Jugendstudie zur Europawahl. Er ist überzeugt, dass junge Menschen in ihrem Wahlverhalten weniger festgelegt seien als ältere. “Die werden auch stärker von den situativen Einflüssen geprägt. Und das bedeutet eben in diesen Tagen, in denen wir etwa viel über Migration sprechen, dass das gerade für die AfD günstig ist”, erklärt Faas. Das müsse man sehr ernst nehmen – aber man müsse zugleich auch sehen, dass das eine Momentaufnahme sein könne.

Constantin aus Leipzig ist politisch eher links eingestellt. Er ist sich schon ziemlich sicher, welche Partei er am 9. Juni wählen wird, sagt er. Der Oberstufenschüler hat schon wie fast alle seiner Freunde den Wahl-O-Mat genutzt, außerdem schaue er sich politische Formate bei Youtube an, zum Beispiel “Die da oben” oder “Simplicissimus”. Die Social-Media-Plattform TikTok meidet er wegen Datenschutzbedenken lieber. “Ich weiß aber von Freunden, dass da viel rechter Content ist. Bei Youtube aber auch, das merke ich trotz meiner linken Bubble”, sagt Constantin.

Gerade bei jungen Erstwählern spielen die sozialen Netzwerke eine große Rolle, erklärt Politikwissenschaftler Faas. “Das ist aber mehr als nur ein Ersatz für klassische Medien wie Fernsehen oder Print. Diese neuen Medien funktionieren ja ganz anders, viel ‘passgenauer’.” Ihm zufolge ist die eigentlich große Herausforderung, “eine Grundversorgung für alle sicherzustellen, auch wenn Menschen sich nicht allzu sehr für Politik interessieren”.

Für Erstwähler Constantin ist Europa gefühlt “weit weg”. Er fände es wichtig, auch bei den Kommunalwahlen in Sachsen wählen zu können, die ebenfalls am 9. Juni stattfinden. Für sie liegt das Wahlalter aber bei 18 Jahren. “Da bin ich näher dran und würde den Effekt direkter sehen”, sagt Constantin. Allerdings finde er auch das Thema Klimaschutz enorm wichtig – da sei die Europawahl wohl relevanter.

Lara Oberdieck ist bei der Stadt Krefeld in Nordrhein-Westfalen für politische Bildung zuständig. Sie hat zur Europawahl ein Bildungsprojekt aufgesetzt und den Eindruck gewonnen, dass die meisten jungen Menschen wählen gehen wollen. “Für sie ist es ein unglaubliches Privileg und sie sind stolz, ihre Stimme abgeben zu dürfen”, sagt Oberdieck. Jedoch: “Wer von ihnen letztendlich wirklich zur Wahl geht, bleibt eine Überraschung.”

Constantin hat sich gegen die Briefwahl entschieden, “auch ein bisschen aus Faulheit, sich darum zu kümmern”, sagt er. Er will bei seiner ersten Wahl gern das Wahllokal besuchen – das sei “lustigerweise” in seiner alten Grundschule eingerichtet.