EU-Parlament stimmt für Asylreform – Kritik auch von Kirche

Bis zuletzt blieben Teile des Asyl- und Migrationspakets umstritten. Am Ende war den Abgeordneten ein Kompromiss wichtiger als überhaupt keine Lösung. In der Umsetzung sind sowieso noch viele Fragen offen.

Nach jahrelangen Debatten steht die EU-Asylreform vor dem Abschluss. Am Mittwoch stimmte das Europäische Parlament in Brüssel den sieben Verordnungen und einer Richtlinie des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) zu. Das Paket beinhaltet strengere Regeln für Migranten aus Staaten, die als relativ sicher gelten, und soll Hauptankunftsländer wie Italien oder Griechenland entlasten. Der Rat der 27 Mitgliedstaaten muss die zuvor ausgehandelten Kompromisstexte noch bestätigen. Bis sie in Kraft treten, wird es bis zu zwei Jahre dauern.

Auf aktuelle Ankünfte und Schutzgesuche haben die Beschlüsse demnach keine Auswirkung. Im vergangenen Jahr wurden laut der EU-Asylagentur rund 1,1 Millionen Asylanträge gestellt, so viele wie seit 2016 nicht mehr.

Parlamentspräsidentin Roberta Metsola nannte die Beschlüsse in einer Kurznachricht auf X einen „robusten Gesetzesrahmen für den Umgang mit Migration und Asyl in der EU“. Nach mehr als zehn Jahren habe man Wort gehalten und eine „Balance zwischen Solidarität und Verantwortung“ gefunden.

EU-Innenkommissarin Ylva Johansson dankte dem Parlament für seinen „Mut zum Kompromiss“. Die EU werde so in der Lage sein, ihre Außengrenzen, die Schutzbedürftigen und Flüchtlinge besser zu schützen und diejenigen, die kein Bleiberecht haben, rasch zurückzuschicken. Dabei gebe es eine „verpflichtende Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten“, schrieb Johansson auf X.

Im Vorfeld hatten die Berichterstatter im Parlament an die Fraktionen appelliert, dem Reformpaket zuzustimmen, auch wenn es aus Sicht der Parteien teils harte Zugeständnisse an die EU-Regierungen enthalte. Dabei verwiesen sie auf die Befürchtung, dass es andernfalls auf absehbare Zeit überhaupt keine Reform geben werde.

Einzelheiten der Umsetzung sind noch offen. Auch gibt es noch keine Liste von als sicher eingestuften Drittstaaten. Das Gebilde der inhaltlich verwobenen Gesetzestexte gilt als juristisch komplex. Selbst mit der Thematik befasste Abgeordnete wie der Grünen-Politiker Erik Marquardt sprachen von „hektischen und unübersichtlichen“ Verhandlungen zwischen Rat und Parlament. In den letzten Zügen mussten Juristen einzelne Dossiers noch einmal aufteilen, um den unterschiedlichen Rechtsgrundlagen der EU einerseits und des Schengen-Raums andererseits zu entsprechen.

Der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber (CSU), erklärte auf X: „Die EU-Migrationspolitik wird auf neue und bessere Beine gestellt. Die EU ist handlungsfähig. Ein guter Tag für Europa.“ Die innenpolitische Sprecherin der europäischen Christdemokraten, Lena Düpont, sprach von einem Schritt „für mehr Humanität und Ordnung“ an den Grenzen.

Es gelte, die Kontrolle über die EU-Außengrenzen wiederzugewinnen und den Migrationsdruck auf die EU zu reduzieren, so Düpont. Die Abstimmung unterstreiche das Engagement für „ein Europa, das wehrhaft und gewappnet ist“.

Die innenpolitische Sprecherin der Sozialdemokraten im Europaparlament, Birgit Sippel (SPD), räumte ein, die Einigung habe „hohe Zugeständnisse“ verlangt, insbesondere in der Frage der Inhaftierung in den Grenzverfahren. Dafür schaffe das Paket „klare Regeln, welche die Mitgliedstaaten in die Verantwortung nehmen und Schutzsuchenden einen Zugang zu Asyl in Europa ermöglichen“.

„Nun gilt es, den Mitgliedstaaten und der Kommission bei der Umsetzung genauestens auf die Finger zu schauen, damit wir sicherstellen, dass an den EU-Außengrenzen sowie in der gesamten EU endlich wieder europäisches Recht umgesetzt wird und Grundrechte gewahrt werden“, erklärte Sippel.

Der migrationspolitische Sprecher der FDP im EU-Parlament, Jan-Christoph Oetjen, wertete den Migrationspakt als „großen Gewinn für ganz Europa“. Mit klaren Regeln für die Ankommenden und schnelleren Verfahren an den Außengrenzen bringe man „mehr Ordnung in das europäische Migrationssystem“.

Die migrationspolitische Sprecherin der Linken, Cornelia Ernst, warf dem Parlament „historisches Versagen“ vor. Die Reform stelle „die massivste Verschärfung des Europäischen Asyl- und Migrationsrecht seit Gründung der EU“ dar und ebne den Weg für einen beispiellosen Rechtsruck in der Asylpolitik.

Auch Caritas Europa äußerte sich besorgt. Die neuen Regeln schränkten für Bedürftige den Zugang zu Schutz deutlich ein, teilte der katholische Dachverband in Brüssel mit. Als problematisch bewertete die Caritas besonders die beschleunigten Asyl- und Rückführungsverfahren an den Grenzen einschließlich der Inhaftierung von Familien und Kindern, eine diskriminierende Vorsortierung Schutzsuchender und die Auslagerung der Asylfrage in Drittstaaten. Der neue Pakt habe „versäumt, das dysfunktionale Dublin-System zu reformieren“.

Die Organisation Pro Asyl nannte das Paket einen „Tiefpunkt für den Flüchtlingsschutz in Europa“. Zu den schon bestehenden Zäunen, Mauern, Überwachungstechniken und Pushbacks kämen nun „absehbar noch mehr Inhaftierung und Isolierung schutzsuchender Menschen an den Außengrenzen und neue menschenrechtswidrige Deals mit autokratischen Regierungen dazu“, erklärte Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl.

Ähnlich sprach Ärzte ohne Grenzen von einem „traurigen Schlusspunkt eines schon jetzt gescheiterten politischen Projekts. Die Reform wird nicht dazu beitragen, die humanitäre Krise an den EU-Außengrenzen zu lösen“, sagte Felix Braunsdorf, Experte für Flucht und Migration bei der Organisation. Stattdessen werde das System bestehende Dynamiken weiter verschärfen und Menschen dazu zwingen, noch gefährlichere Fluchtrouten zu wählen.