Erinnerung an den Kirchenkampf: „Frau Pfarrer“ Agnes Wendland

Agnes Wendland war Unterstützerin eines Netzwerks, das während des Zweiten Weltkriegs in Berlin-Prenzlauer Berg Jüdinnen und Juden Schutz vor Verfolgung bot.

Pfarrersfrau Agnes Wendland aus Berlin-Prenzlauer Berg
Pfarrersfrau Agnes Wendland aus Berlin-Prenzlauer Bergoeak.de/CC0

„Frau Pfarrer vermittelte mir auch Gelegenheitsarbeiten bei denen, die zum gleichen Helferkreis gehörten. Sie achtete darauf, dass ich frühstückte, bevor ich für den ganzen Tag verschwand. Da ich keine eigenen Lebensmittelkarten besaß, teilte sie das Essen ihrer Familie mit mir. Sie sorgte so gut für mich und hatte immer ein aufmunterndes und ermutigendes Wort bereit. Ich hatte ein richtiges Zuhause.“

Das ist eine wesentliche Erinnerung des untergetauchten 16-jährigen jüdischen Jugendlichen Ralph Neuman aus den Jahren 1943–1945. Er und seine Schwester Rita lebten im Schutz des Pfarrhauses in der Gethsemanestraße in Berlin und –überlebten.

Das Pfarrhaus als Refugium

Auch Wolfgang Hammerschmidt, ein junger Mann aus einer angesehenen jüdischen Cottbusser Familie, fand Zuflucht im Pfarrhaus. Er musste seinen Unterschlupf in der schwedischen Gemeinde verlassen, da der Raum für die Weihnachtsfeier gebraucht wurde. Der Pfarrer gab ihm ein Blatt mit, auf dem zu lesen war: „Frau Wendland, Pfarrhaus an der Gethsemanekirche, S-Bahn Schönhauser Allee“.

Am Morgen des 24. Dezember 1944 kam Wolfgang Hammerschmidt dort an und wurde von einem Dienstmädchen empfangen. Sie rief nach „Frau Pfarrer“, die ihm wenig später gegenübersaß. „Sie sind schon angemeldet, Herr Hammerschmidt, und Sie haben Glück: eine Mitarbeiterin meines Mannes ist bis Anfang Januar im Urlaub. Ihre Mansarde ist frei. Sie können dort wohnen.“ Keine Frage nach dem Woher oder Warum. Das Dienstmädchen war Ralph Neumans Schwester Rita.

Mutige Pfarrersfrau

„Frau Pfarrer“ Agnes Wendland war die Seele des Hauses und gleichzeitig eine Anlaufstelle für jüdische Jugendliche in diesen Jahren. Sie gehörte mit ihren Töchtern Ruth und Angelika zu einem großen Hilfenetzwerk, zu dem auch ihr Mann, der Pfarrer der Gethsemanegemeinde Walter Wendland, der Gefängnispfarrer Harald Poelchau, die Journalistin Ruth Andreas-Friedrich, die Lehrerin Elisabeth Abegg und andere gehörten.

Die drei Jugendlichen haben das Naziregime überlebt. Ralph und Rita gingen nach Amerika. Zuvor versorgten sie aber noch die inzwischen an Nierenkrebs erkrankte Agnes Wendland. Sie starb am 31. August 1946. Wolfgang Hammerschmidt war nur knapp 14 Tage im Pfarrhaus, die ihn aber sehr geprägt haben. Für den musisch begabten jungen Mann musste es eine Qual gewesen sein, dem Gemeindegesang zu folgen, der „stets um einen halben Takt hinter den Akkorden der Orgel nach klappte“.

Und weiter „…. kann ich rückblickend die Wochen von Dezember bis zur Jahreswende 1945 als die relativ unbeschwertesten in der Zeit der Illegalität bezeichnen.“ Ruth, die Tochter, war bereits Vikarin in Zehlendorf, nahm Wolfgang Hammerschmidt zu sich. So erlebte er die Befreiung in Zehlendorf, nicht ohne vorher noch einem Amok laufenden Nazi die Injektionsspritze mit Morphium zu verpassen, die er für „alle Fälle“ immer bei sich hatte. Er brauchte sie jetzt nicht mehr.

Gelungene Flucht

Für Agnes Wendland, ihre Töchter und für ihr ganzes Netzwerk schrieb Ralph Neuman seine Erinnerungen auf. Er lebte bis zu seinem Tod 2015 in Portland/USA. Auch seine Schwester Rita Neuman, das Dienstmädchen, ging in die USA und heiratete dort. Wolfgang Hammerschmidt kam nach seiner Verhaftung ins Hauptlager der Organisation Todt im Eichkamp, das sich gegenüber vom Mommsenstadion in Charlottenburg, aus dem ihm die Flucht gelang. Von Zehlendorf aus lief er am Tag der Befreiung nochmal zurück, denn er wusste, dort war im Lagerbuch sein Name vermerkt. Diese Seite musste er haben, um seine Identität nachweisen zu können. Nach dem Krieg war Wolfgang Hammerschmidt Intendant beim WDR. Er starb 1999.

Für Agnes, diese mutige und tapfere Pfarrfrau wurde am Pfarrhaus der Gethsemanekirche 2004 eine Ehrentafel angebracht. Zur Einweihung dieser kamen auf Einladung der Gethsemanegemeinde Ralph Neumann und seine Frau aus den USA, die hochbetagte Tochter von Agnes Wendland, Angelika Ruthenborn, die Witwe von Wolfgang Hammerschmidt und Alice Ammermann.

Jedes Jahr wird Agnes Wendland auf besondere Weise gefeiert. Die diesjährige Geburtstagsfeier für sie findet am 17. März von 15 bis 18 Uhr im Gemeindehaus Gethsemanestraße 9 in Berlin-Prenzlauer Berg statt. Zu Gast: Schriftstellerin Asli Erdogan.