„Eldorado“ widmet sich dem Schicksal von Migranten

Tomaten sind besonders beliebt. Viele davon kommen aus Italien; die „Tomatenproduktion“ basiert oft auf der Versklavung von Flüchtlingen aus Afrika. Das ist nur eine Facette des sehenswerten Films von Markus Imhoof.

In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:

Der Schweizer Filmemacher Markus Imhoof erinnert sich angesichts der im Mittelmeer ertrinkenden Flüchtlinge an seine eigene Kindheit, als nach dem Krieg eine junge Italienerin aus dem ausgebombten Mailand in seiner Familie Unterschlupf fand.

Der essayistische Film von 2018 verbindet persönliche Reflexionen, Briefe und andere Dokumente mit bedrängenden Gegenwartsbildern sowie investigativen Recherchen, die dem zynischen Kreislauf der Ausbeutung illegaler Migranten auf die Spur kommen.

Durch den unmittelbaren emotionalen Zugang verdichtet sich der Film zum eindringlichen, zutiefst humanistischen Appell an die Verantwortung der Menschen füreinander. Imhoofs Kommentar-Stimme erscheint dabei in ihrer Sanftheit nur umso treffender, wenn er die Versäumnisse europäischer Gesellschaften im Umgang mit den Flüchtlingen benennt. „Eldorado“ war beim Kinostart 2018 Kinotipp der katholischen Filmkritik.

Im Jahr 1945 nahm die Mutter von Regisseur Markus Imhoof ihren Sohn, Jahrgang 1941, mit zum Bahnhof. Dort kamen Züge mit Flüchtlingskindern an. Ein italienisches Mädchen ging mit zu ihnen nach Hause: Giovanna. Sie kehrte später wieder ins von Bombenangriffen zerstörte Mailand zurück, zu ihrer Mutter, die inzwischen gesundet war. Ein Briefwechsel mit Giovanna begleitet Imhoofs Film „Eldorado“ als Off-Kommentar. Immer wieder zeigt der Regisseur Material aus dem Familienarchiv: Alte Briefe, bunte Kinderzeichnungen, Schwarz-weiß-Fotografien, später auch Super 8-Filme.

Giovanna und ein weiterer Flüchtlingsjunge aus Österreich, den seine Familie aufnahm, hatten Imhoof 1981 bereits zu seinem Spielfilm „Das Boot ist voll“ inspiriert, über eine Gruppe Flüchtlinge, die während des Zweiten Weltkriegs verzweifelt versucht, in der neutralen Schweiz zu bleiben. In „Eldorado“ montiert Imhoof parallel: Giovannas Weg, seinen Weg und denjenigen der Flüchtlinge von heute.

Den wiederum beschreibt der Gewerkschafter Raffaele mit Dante’schen Termini: Sie gingen durch die Hölle, die Mafia-Versklavung in Italien sei für sie das Fegefeuer, eigentlich nur eine Zwischenstation. Sie wollen weiter ins Paradies – nach Nordeuropa, in die Schweiz oder nach Deutschland. Nur müssen sie, der Dublin-Verordnung entsprechend, im Fegefeuer bleiben; dort haben sie ihre Fingerabdrücke hinterlassen, dort haben ihre Füße Land berührt.

Die Schweiz, so merkt Imhoof süffisant an, liege eben nicht am Meer, da müsste ein Flüchtling schon vom Himmel fallen. Aber ab und zu verirre sich dann doch mal einer hierher. Einquartiert würden sie dann in unterirdischen Bunkern. Es sei denn, man kaufe sich vom „Flüchtlingsjoch“ frei – mitunter für Tausende Schweizer Franken.

So klar, deutlich und unumwunden wie selten zeigt der Schweizer Filmemacher Markus Imhoof mafiöse, unmenschliche, unverantwortliche Strukturen auf. Er beschreibt, was er sieht, wenn er den Flüchtlingen in die Augen blickt: Oft ist es Hoffnung, denn auf der anderen Seite, hinter der Kamera, steht ja er, ein Schweizer.

Auf dem Schiff fragt ihn ein junger Mann, ob er ihm nicht dabei helfen könne, keine Fingerabdrücke abgeben zu müssen. Er möchte zu Familienangehörigen nach Dänemark. In einer berührenden Szene wischt ein Mädchen wütend Wasserflaschen vom Tisch, als ihre Familie an der Schweizer Grenze aus dem Zug geholt und zurück nach Italien geschickt wird.

Der Gewerkschafter Raffaele erläutert unterdessen den Kreislauf der Ausbeutung in Italien: EU-Subventionen unterstützen die Landwirtschaftsbetriebe. Die von den illegalen afrikanischen Flüchtlingen geernteten Tomaten werden dann nach Nordeuropa verkauft – und nach Afrika. Dort erwerben die Angehörigen der Flüchtlinge dann Tomaten mit dem Geld, das eben diese von ihrem absurd niedrigen Lohn – 30 Euro pro Tag abzüglich 15 Euro für den Aufseher – abgezweigt und zurück nach Hause geschickt haben.

„Eldorado“ ist ein dringlicher, zutiefst humanistischer Appell: „Das Einzige, was uns am Ende bleibt, sind Erinnerungen, die auf Liebe basieren.“ Imhoof fragt: „Wer ist uns?“ Uns, das sind wir. Und sind wir nicht verantwortlich füreinander? Wir Europäer, wir Nordeuropäer, wir Deutsche. Wir Afrikaner, wir Ivorer, wir Menschen.