Drehbuchautor und Regisseur Lars Becker über Diversität im TV

Jahrzehnte bevor die meisten Deutschen erstmals von „Diversität“ hörten, drehte er selbstverständlich mit Schauspielern verschiedenster Herkunft: Regisseur Lars Becker, der seine Drehbücher fast immer selbst schreibt.

Bekannt wurde Lars Becker mit dem Gangsterfilm „Bunte Hunde“ und der Literaturverfilmung „Kanak Attack“, aber auch mit den Krimi-Reihen „Der gute Bulle“ und „Nachtschicht“. Die Filme des 70-Jährigen – meist urbane, schnell erzählte, unterhaltsame Krimis – sind bevölkert von ebenso zahlreichen wie vielfältigen Protagonisten, nicht selten vom sogenannten Rand der Gesellschaft.

In seinem neuesten Krimi „Der Millionen-Raub“, der am kommenden Montag im ZDF zu sehen ist, stehen fünf Frauen unterschiedlichster Herkunft im Mittelpunkt, die gemeinsam auf der Suche nach verschwundenen acht Millionen Euro aus einem Raubüberfall sind. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht Becker über Debatten rund um Diversität im Filmgeschäft und in der Gesellschaft.

KNA: Als jemand, für den die viel beschworene Diversität immer schon ganz normal war – wie nehmen Sie die aktuellen Debatten um Identitätsfragen wahr?

Lars Becker: Das nehme ich so komplex wahr, wie die Komplexität des Themas auch ist. Damit will ich sagen: Man muss allen zuhören. Das ist die wichtigste Bedingung, um zu verstehen, was an diesen identitär geprägten Debatten richtig oder falsch ist. Diese Debatten haben etwas mit kultureller Selbstbestimmung zu tun, und deshalb müssen wir diese auch erst einmal so hinnehmen. Im Moment ziehen auch noch politische Bedingungen am Horizont herauf, die die ganze Sache nicht leichter machen.

Grundsätzlich hat sich zwar etwas verbessert – aber nicht in der Tiefe! Wir müssten endlich erkennen, dass die Indikatoren der Diskriminierung, die die Juristin Kimberle Crenshaw ja schon in den 1980er Jahren entworfen hat, für uns alle ein Hilfsmittel sind – um zu verstehen, wo wir selbst stehen. Wie selbstreflexiv können wir argumentieren auf dem Standpunkt unserer eigenen Identität? Aber diese doppelte Reflexionsebene, die ist in den meisten Debatten überhaupt nicht da.

KNA: Wie ist die Situation bezogen auf Film und Fernsehen?

Becker: Hier wird oftmals Diversität nur behauptet. Das ist eine klare Analyse, da muss man nicht darum herumreden. Eine Spiegelung unserer Gesellschaft im Film kann nicht bedeuten, dass eine Produktion, die in München gedreht wird – bei einer Einwanderungsgesellschaft von fast 40 Prozent in der Stadt – mit keiner Person mit Migrationshintergrund besetzt wird. Oder wenn zwei serbische Clan-Chefs mit einem Italiener und einem Deutschen besetzt werden.

KNA: In Ihrem aktuellen Film „Der Millionen-Raub“ heißt es: „Araber sprechen Araber, Schwarze sprechen Schwarze – das ist der neue Trend“. Klingt ironisch – oder?

Becker: Ja, sicher! Ich würde jetzt nicht ideologisch alles nach Herkunft besetzen. Aber im Kontext von extrem politischen Stoffen, also zum Beispiel Post-Balkan-Filmen: Da fragt man sich schon, wie kommt jemand auf die Idee, niemanden vom Balkan zu besetzen, wo wir da so viele gute Schauspieler haben? Der Glaubenssatz „Schauspieler und Schauspielerinnen sollen alles spielen können“, der ist an sich schon richtig. Wir müssen allerdings auch das „Aber“ anerkennen. Man kann diesen Glaubenssatz nicht als Totschlagargument benutzen und damit alles legitimieren.

Ein Beispiel: Der Schauspieler Ercan Durmaz, ein fantastischer Schauspieler, hat in „Euer Ehren“ einen Serben gespielt. Da sagen die Serben, der ist doch ein Türke, wieso spielt er einen Serben? Das sind sublime Wahrnehmungsfragmente, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Ich sage: Context matters!

KNA: Die Wahrheit liegt also irgendwo zwischen dem Grundsatz „Schauspieler müssen alles spielen können“ und der Überzeugung „Nur ein Serbe darf auch einen Serben spielen“?

Becker: Finde ich schon. Die nächste Generation ist da übrigens schon viel schneller in ihrer Wahrnehmung, ich sehe das an meinen Kindern, die sind ja binational. Die sehen solche Dinge sofort; die merken das gleich, wenn eine Besetzung unstimmig ist.

KNA: In „Der Millionen-Raub“ stehen zwei ältere Frauen im Mittelpunkt: Die Figuren Haifa und Dunja, beide um die 60 Jahre alt, sind absolut unüblich im deutschen TV. Gespielt werden sie von der irakisch-deutschen Schauspielerin Inaam Al Battat und der aus Serbien stammenden Anica Dobra. Man sieht durch Ihren Film, was für einen Schatz an Erfahrung, Witz und Lebensklugheit sich das Fernsehen damit entgehen lässt.

Becker: Das freut mich zu hören. Ich musste schon ganz schön kämpfen um die beiden.

KNA: War das die bewusste Entscheidung dafür, einen TV-Film mit älteren Frauen als Hauptfiguren zu drehen?

Becker: Es ging um beides – kulturelle Diversität trifft auf Altersdiversität. Ich sage schon lange: Es ist wichtig, dass wir uns selber sehen. Und „uns“ sage ich jetzt ganz bewusst! Inaam Al Battat ist seit 20 Jahren hier in Deutschland und eine tolle Schauspielerin. Aber sie wird kaum gesehen, bekommt kaum eine Chance. Insofern hatte ich schon richtig Lust darauf, sie zu besetzen. Und Anica Dobra: Mit ihr hatte ich ja schon gedreht, Top-Schauspielerin, Top-Teamplayerin! Also beides: Ich wollte diese Geschichte erzählen; aber sie mit diesem Cast zu realisieren, war eigentlich genauso wichtig.

KNA: Zuletzt haben Sie oft Frauenfiguren in den Mittelpunkt Ihrer Geschichten gestellt. Demnächst kommt „Die Polizistin“. Worum geht es Ihnen dabei?

Becker: In meinen früheren Filmen waren die Frauenfiguren ja nicht unbedingt super-emanzipiert. Trotzdem habe ich immer Darstellerinnen gesucht, die charakterstark genug sind – und das hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Jetzt wird auch eher akzeptiert, wenn ich sage: Muss das eine Männerrolle sein? Können wir das nicht auch mit einer Frau erzählen? Bei der „Polizistin“ habe ich 20 Jahre darum gekämpft, dass eine Schwarze die Hauptdarstellerin in einem Prime-Time-Format spielt. Die Hauptdarstellerin Thelma Buabeng hat nun eine Chance bekommen. Mit Thelmas Qualität, Integrität, Menschlichkeit, mit ihrem tollen Temperament hat das alles nichts zu tun. Sie hat es durch ihre Herkunft schwerer.

KNA: Wir sind also längst nicht da, wo wir sein sollten.

Becker: Das ist so. Warum kann man eine Schauspielerin mit anderem Hintergrund nicht als ganz normale Figur besetzen? Die sich eben nicht legitimieren muss über ihre Herkunft, Religion, ihr Geschlecht. In viele Drehbücher wird das implantiert: warum sie da ist, warum sie diese Rolle hat. Dann geht das in Richtung Themenfilm. Das mag ich ja gar nicht.

KNA: Das Krimi-Angebot im deutschen Fernsehen wird häufig als Über-Angebot kritisiert. Was halten Sie von dem Vorwurf?

Becker: Ich würde das eher an Krimi-Reihen festmachen: Es ist deutlich schwieriger geworden, Einzelstücke durchzubekommen. Das höre ich auch von Kollegen und Kolleginnen. Und das finde ich schade.

KNA: Sie drehen immer wieder mit denselben Schauspielern: Armin Rohde, Fritz Karl, zuletzt Sabrina Amali. Brauchen Sie eine Art Familiengefühl am Set? Warum?

Becker: Es macht mehr Spaß. Und für mich kommen dabei auch die besseren Ergebnisse heraus (lacht). Family Business lohnt sich! Ich verstehe mich in meiner Rolle als Regisseur eigentlich als Gastgeber. Ich war ja wirklich Gastgeber, habe acht Jahre auf Sankt Pauli in den 80er Jahren eine Bar gehabt. Und ich brauche auch beim Drehen das Gefühl, dass ich gute Leute zusammenbringe, die sich wohl fühlen. Meine Erfahrung ist: Respektvolles Verhalten und gutes Benehmen lohnen sich immer.