Die „Praxis ohne Grenzen“ fragt nicht nach Versicherungsschutz

Krank sein ohne ausreichenden Versicherungsschutz ist in Deutschland ein Problem. Die „Praxis ohne Grenzen“ im schleswig-holsteinischen Rendsburg hilft Menschen ohne Krankenversicherung.

Immer da für ihre Patienten: Die Ärzte Achim Diestelkamp und die Doris Neumann in der "Praxis ohne Grenzen"
Immer da für ihre Patienten: Die Ärzte Achim Diestelkamp und die Doris Neumann in der "Praxis ohne Grenzen"epdbild / Rebbeka Krüger

Es klingelt an der Tür. „Sobald Licht an ist, denken alle, wir haben geöffnet“, sagt Achim Diestelkamp. Er ist einer von sechs Ärztinnen und Ärzten, die ehrenamtlich in der Rendsburger „Praxis ohne Grenzen“ arbeiten. Für Menschen ohne Krankenversicherung ist die kleine Praxis oft ein Rettungsanker. Zweimal die Woche ist Sprechstunde. „Wir sind eine hausärztliche Praxis. Entsprechend sind wir auch ausgerüstet: mit EKG, Ultraschall und Möglichkeiten für Laboruntersuchungen.“

Insgesamt gibt es sieben solcher Praxen in Hamburg und Schleswig-Holstein. Die erste eröffnete im Januar 2010 in Bad Segeberg, sie diente den Rendsburgern als Vorbild. In Hamburg gibt es die größte, in Dithmarschen soll bald eine achte „Praxis ohne Grenzen“ hinzukommen.

Finanziert aus Spenden

Das Projekt, das sich ausschließlich aus Spenden finanziert, gibt es bereits seit zehn Jahren. „Und der Bedarf wird nicht weniger“, sagt der ehemalige Hausarzt und Internist Diestelkamp. Laut Mikrozensus waren 2019 rund 61.000 Menschen ganz ohne Krankenversicherungsschutz. Hinzu kämen all die Menschen, deren Versicherungsschutz nicht ausreichend ist – Schätzungen zufolge rund 500.000, sagt Diestelkamp.

In der jüngsten Vergangenheit seien immer öfter auch schwere Fälle in die Praxis gekommen, wundert sich Mitarbeiterin Doris Neumann: „Wie kann das sein? Wir sind ein reiches Land. Wir haben ein gutes Sozialsystem, aber es fallen viele ganz einfach durch das Raster durch.“ Die insgesamt zwölf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Praxis geben ihr Bestes, um diesen Menschen zu helfen.

Gründe, warum Menschen plötzlich nicht mehr krankenversichert sind, gebe es viele, weiß Achim Diestelkamp. „In der Regel ist es so, dass die Menschen in eine wirtschaftliche Notlage geraten und davon ausgehen, dass sie nur mal kurzfristig die Krankenkassenbeiträge nicht zahlen.“ Sobald das geschehe, beginne eine Abwärtsspirale. Es werde immer schwerer, die wachsende Summe zurückzuzahlen. „Und die kommen dann zu uns. Wir behandeln sie, klären aber gleichzeitig mit der letzten Krankenkasse, ob da nicht doch noch ein Versicherungsschutz besteht.“

Neben der medizinischen Betreuung und dem Klären des Versicherungsschutzes biete das Team auch Unterstützung beim Umgang mit Behörden und Krankenkassen. Was viele Betroffene nicht wissen: Für akute Erkrankungen zählt der vorherige Versicherungsschutz häufig noch. Für besondere Behandlungen gebe es außerdem verschiedene kooperierende Ärzte, an die überwiesen werden könne. Und zur Not werde ein Patient auch ins Krankenhaus überwiesen.

In einer Notlage

Der Umweg zur Krankenkasse oder zur Behörde sei vor dem Arztbesuch für viele Menschen nicht machbar. Die Patientinnen und Patienten der „Praxis ohne Grenzen“ seien in einer Notlage. „Sie haben Ängste, zu einem Arzt zu gehen und abgewiesen zu werden“, sagt Neumann. Hier hätten sie die Sicherheit, dass sie empfangen würden und ihnen zugehört werde. Das sei oft eine große Hilfe.

Es klingelt erneut an der Tür, die Patienten kommen rein, werden begrüßt und nach ihrem Wohlergehen gefragt. Dann wird eine Kartei angelegt und ein Anamnesebogen für den Arzt ausgefüllt. „Und wenn ein Patient diesen nicht selbst ausfüllen kann, weil er Hemmungen hat oder gerade eine Schreibbarriere, dann unterstützen wir ihn und versuchen ihn so gut wie möglich zu behandeln“, sagt Neumann.

Die „Praxis ohne Grenzen“ suche immer helfende Hände. Doris Neumann war früher Kaufmännische Angestellte – dass sie hier wieder mit anderen Menschen in Kontakt kommt, empfindet sie als Bereicherung: „Das ist die Motivation, um immer herzukommen: Einfach mal über den Tellerrand zu schauen und auch ein Stück zurückzugeben.“