Die letzte Fahrt im Mittelmeer

Der Einsatz im Mittelmeer führte die Fregatte Augsburg mit ihrer Besatzung von September 2018 bis Februar 2019 ins Mittelmeer. Diese Fahrt sollte in mehrfacher Hinsicht eine letzte Fahrt sein.

Ein besinnlicher Moment für die Besatzung der Fregatte Augsburg
Ein besinnlicher Moment für die Besatzung der Fregatte AugsburgJens Anders

Christoph Sommer, Militärpfarrer in Rostock, sprach mit Militärpfarrer Jens Anders aus Eckernförde nach seiner Rückkehr aus dem Einsatz „EUNAVFOR MED Sophia“.

Was hat Kirche eigentlich mit Seefahrten der Deutschen Marine zu tun?
Jens Anders:
Alle von der UN oder der EU mandatierten Einsätze werden von Geistlichen begleitet. Als Militärseelsorger sind sie für das Leben an Bord besonders ausgebildet und wissen wie sie sich an Bord und innerhalb der Besatzung im Alltag, aber auch in einem Notfall bewegen, zurecht finden und helfen können. Vor allem bei der Aufnahme von Flüchtlingen leisteten Seelsorger beider Konfessionen in den letzten Jahren im Mittelmeer wertvolle Hilfe als Begleitung für die Besatzungen.
Wie siehst du unsere Rolle an Bord?
Unsere Rolle besteht vor allem natürlich in der Gestaltung der Gottesdienste sowie in den vielen Formen von Seelsorge und Begleitung. Ich bin aber für die Soldatinnen und Soldaten aller Konfessionen, Religionen sowie für die Menschen ohne Religionszugehörigkeit genauso da. Mit meiner Arbeit möchte ich ja auch alle erreichen: Das Spektrum reicht von Gesprächen mit der Schiffsführung, Besuchen der Seewachstationen, Teilnahme bei der Ausbildung im Sanitätsbereich bis hin zur Mitarbeit an der Bordzeitung.
Wer begleitete die Fregatte Augsburg außer Dir?
Die Besatzung wurde in diesem Fall nacheinander durch zwei evangelische Militärgeistliche begleitet: Militärdekan Ernst Raunig aus Flensburg und mich. Da wir uns gut kennen verlief die Übergabe am 30. November sehr reibungslos und äußerst hilfreich. Ich begleitete die ­Besatzung im zweiten Teil ihrer Fahrt von Dezember bis Anfang Februar, also auch über die Weihnachtstage und den Jahreswechsel.
Weihnachten an Bord – geht das überhaupt?
Die Besatzung versucht soweit wie möglich auch an Bord normal zu leben, das heißt auch Feste und Bräuche aus der Heimat ins Bordleben zu integrieren. Ganz besonders gilt dies für die Advents- und Weihnachtszeit.
Wie kann man sich das im Einzelnen vorstellen?
Von mehreren Arbeitsbereichen an Bord wurde im Zwischendeck ein kleines Weihnachtsdorf aufgebaut. Dafür wurden Wände und Decken dekoriert. Man staunt, was Seeleute mit den wenigen Materialien, die sie gerade zur Hand haben, alles erschaffen: Aus Filtermatten wurden so nach Einfärbung Schneemänner, Weihnachtsbäume, Knusperhäuser, Sterne und vieles mehr. Am 6. Dezember kam der Nikolaus, am 15. Dezember wurde das Adventsdorf eröffnet mit Gebäck und Punsch. Und am Wochenende vor Weihnachten wurden Plätzchen gebacken.
Wo wart ihr Weihnachten?
Heiligabend und den ersten  Weihnachtsfeiertag feierten wir während der Hafenliegezeit auf Kreta an Bord. Die Mannschaftsmesse war als größter Raum unsere Kirche. Der Christbaum stand aus Platzgründen aber auf dem Flugdeck, regengeschützt und festlich beleuchtet. Am 1. Weihnachtstag gab es für die Besatzung ein besonders festliches Weihnachtsessen.
Was war das Besondere an ­euren Gottesdiensten?
Für einen großen Teil der Besatzung bedeutete Weihnachten erstmals von zu Hause getrennt zu sein oder nicht bei den eigenen Kindern. So wurden die Gottesdienste auch als Ort besonderer Gemeinschaft gern in Anspruch genommen. Die Besatzung gestaltete den Gottesdienst durch Lesungen, Gebete und eigene Liedbeiträge. Eine Besonderheit: Wir hörten die Weihnachtsgeschichte nach Lukas 2 auch international: nicht nur auf Deutsch, sondern für die Angehörigen des Boardingteams auch auf Litauisch!
Nun zum eingangs angesprochenen Thema: Warum war es eine letzte Fahrt?
Zum einen war es die letzte Fahrt des Schiffes. Nach dreißig Jahren wird die Fregatte Ende 2019 außer Dienst gestellt. So war es auch für die Besatzung die letzte Einsatzfahrt mit der „Wilden 13“.
Wie hat die Besatzung das aufgenommen?
Erstaunlicherweise hat man der Besatzung das in keiner Weise negativ angemerkt: Sie hat ihre Arbeit professionell und motiviert erledigt. Es war keine Spur von Lethargie oder negativer Abschiedsstimmung zu spüren. Bis zum Schluss der Fahrt wurden die Maschinen, das ganze Schiff aber auch das Miteinander gepflegt wie immer.
Du sprachst aber auch von einem zweiten Abschied?
Ja, aber der ist etwas komplizierter, weil es letztlich um eine politische Entscheidung geht. Die deutsche Beteiligung an „EUNAVFOR MED Sophia“ wird ausgesetzt.
Bedeutet das ein Ende dieses Einsatzes im Mittelmeer?
Ja und nein. Praktisch bedeutet es: Die Fregatte Augsburg war das – vorerst – letzte deutsche Schiff, das im Rahmen der europäischen Mission „EUNAVFOR MED Sophia“ im Mittelmeer fuhr. Geplant war das alles ganz anders. Der Einsatzgruppenversorger Berlin sollte die „Augsburg“ eigentlich im Mittelmeer ablösen und unsere Aufgaben übernehmen: Schleusernetzwerke aufdecken und Menschen- sowie Waffenschmuggel vor allem in Bezug auf Libyen unterbinden – und wenn nötig Seenotrettung leisten. Da dies sinnvoll und wichtig ist, möchte die deutsche Politik für eine Fortsetzung dieses Einsatzes eine Hintertür offen halten.
Warum gibt es denn dann überhaupt eine Aussetzung dieses Einsatzes?
Die neue Regierung in Italien hat das Klima gegenüber Flüchtlingen sehr verschärft. Sie weigerte sich zuletzt massiv, wie übrigens auch Malta, in Seenot geratene Flüchtlinge aufzunehmen. Dies führte dazu, dass die italienische Leitung die Einheiten von „EUNAVFOR MED“ und damit auch unsere Fregatte weit weg von der Küste stationierte, um eine Flüchtlingsaufnahme möglichst unwahrscheinlich zu machen. Auch alle anderen Aufträge gegen Waffen- und Menschenschmuggel wurden durch diese Politik indirekt behindert.
Wie erlebte die Besatzung diese Entwicklung?
Mit gemischten Gefühlen. Im Mittelmeer ist man vor Ort und fühlt sich der Situation  der Menschen in Afrika viel näher. Viele aus der Besatzung waren schon einmal bei der Rettung von Flüchtlingen beteiligt. Sie haben erlebt, wie herausfordernd und belastend, aber auch wie sinnvoll und zufriedenstellend es war, geholfen zu haben.
Wie ist dein persönliches Resümee dieses Einsatzes?
An Bord fühlte ich mich von allen sehr willkommen geheißen und unterstützt in meiner Arbeit. Es war auch schön, noch einmal mit einer der alten „122er“-Fregatten zur See zu fahren. Hohen Respekt habe ich für den Dienst der Soldaten und Soldatinnen, die wieder ein halbes Jahr ihres Lebens von der Familie getrennt verbracht haben und hoch routiniert an Bord arbeiteten. Und ich möchte an dieser Stelle den Einsatz von Soldatinnen und Soldaten wie auch Kolleginnen und Kollegen in gut drei Jahren Menschenrettung durch „EUNAVFOR MED Sophia“ würdigen. Ratlos macht mich persönlich der populistische Zug in manchen Teilen der europäischen Politik, der die internationalen Probleme verdrängen möchte und darüber Menschen in Not sich selbst überlässt. Ich empfinde das als menschenverachtend. Ich bin froh, dass es in meiner Kirche und damit inbegriffen auch in der Militärseelsorge eine andere, eine den Menschen zugewandte Haltung gibt. Sie gründet sich auf unser christliches Menschenbild, die Menschenrechte und das Recht auf Leben.