Die Gebete werden nachgeholt
Shervan Mohamed und Kayode Azeez sind zwei von 1.600 Muslimen in der Bundeswehr. Die beiden erzählen, wie sie den Ramadan beim Militär überstehen – und wie sie mit den fünf täglichen Gebeten umgehen.
Berlin. Es ist ein sonniger Vormittag in Berlin, als die Soldaten der Protokollkompanie des Wachbataillons den großen Zapfenstreich proben. Der Inspekteur der Luftwaffe tritt in den Ruhestand und soll mit militärischen Ehren verabschiedet werden. "Helm ab – zum Gebet!", ruft der Kommandierende. Bei der eigentlichen Zeremonie folgt daraufhin das Musikstück "Ich bete an die Macht der Liebe" und alle Anwesenden gehen in sich. Bei der Probe wird das nur angedeutet. Einer der Soldaten auf dem Exerzierplatz der Julius-Leber-Kaserne ist Shervan Mohamed, 20 Jahre alt – und Muslim. Dass Soldaten auch mal Gebete sprechen, zum christlichen Gott, das stört ihn nicht. "In meiner Familie wird der Islam locker gelebt", sagt er.
In der Julius-Leber-Kaserne, die nach einem deutschen Widerstandskämpfer benannt ist, sind 1.000 Soldaten des Wachbataillons untergebracht. Hier leistet Shervan Mohamed seinen Dienst. Von rund 170.000 deutschen Berufs- und Zeitsoldaten gehören etwa 1.600 dem muslimischen Glauben an.
Die Mutter weinte
Mohameds Eltern sind Kurden und stammen aus dem Norden Syriens. Geboren wurde er in Berlin. In der zehnten Klasse stand er vor der Entscheidung, wie es in seinem Leben weitergehen soll. Er entschied sich für die Bundeswehr. Heute ist er bei der Luftwaffe. "Meine Eltern unterstützten mich von Anfang an", sagt er. "Sie finden es gut, dass die Bundeswehr nicht so aggressiv, sondern eher passiv auftritt."
Kayode Azeez, 28, gehört ebenfalls zum Wachbataillon. Er leistet seinen Stabsdienst im Büro und kümmert sich um die Beschaffung, vom Unterhemd bis hin zum Spind. Azeez kommt aus Nigeria und hat eine dunkle Hautfarbe. "Ich bin in Berlin der erste farbige Soldat, der die Unteroffizierslaufbahn eingeschlagen hat", sagt er. "Ich bin sehr stolz darauf: schon wieder die Nummer eins!" Auch er ist Muslim.
Azeez kam erst mit elf nach Deutschland. "Ich musste alles komplett neu lernen", erinnert er sich. Er biss sich in der Schule durch und machte sein Fachabitur. Als er sich anschließend für den Militärdienst entscheidet, muss er Überzeugungsarbeit leisten. "Meine Mutter hat geweint", sagt er. Doch sie hatte einen falschen Eindruck. "In Afrika ist es anders: Wenn du Soldat bist, gehst du in den Krieg." Dass er ins Büro kam, beruhigte sie.
Warum es keinen Militär-Imam gibt
Was seine Religion angeht, ist Azeez – wie auch sein Kamerad Mohamed – pragmatisch. Die fünf Gebete am Tag werden nach Dienstschluss nachgeholt. An Ramadan werde dann gefastet, wenn es möglich sei, denn "bei einem Marsch mit 15 Kilogramm Gepäck nichts zu trinken, ist schlicht unmöglich". Und in der Kantine ist das Angebot reichhaltig genug, so dass Schweinefleisch nicht auf dem Teller landet.
Es gibt immer wieder Diskussionen darüber, ob Muslime in der Bundeswehr benachteiligt werden. Zuletzt bezeichnete es der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, als "Schande", dass es nach Jahren der Diskussion noch immer keinen Militär-Imam gebe, wie es zum Beispiel in Österreich, den Niederlanden, Norwegen, Frankreich und Großbritannien der Fall ist.
Mehr als die Hälfte der Soldaten bei der Bundeswehr gehören dem Christentum an. Für die Seelsorge stehen bundesweit knapp 100 evangelische Militärgeistliche und etwa 70 römisch-katholische Militärseelsorger bereit. Militär-Imame zu berufen, gelang bislang tatsächlich noch nicht, obwohl die Bundeswehr durchaus einen Bedarf sieht. Das liegt unter anderem auch daran, dass es keinen verbindlichen Ansprechpartner gibt. Diskutiert wird nun, dass Beiräte aus Mitgliedern verschiedener Islam-Verbände für die Seelsorge zuständig sein sollen. Ein langwieriger Prozess.
Im Zweifel soll der Pfarrer helfen
Azeez behilft sich anderweitig. "Bisher konnte der Spieß immer helfen", sagt er über seinen Feldwebel, der als die "Mutter der Kompanie" gilt. Im Zweifel würde er aber auch mit einem Pfarrer sprechen. Er sei schließlich auch zur militärischen Pilgerfahrt nach Lourdes mitgefahren, dem Wallfahrtsort in den französischen Pyrenäen, wohin seit 60 Jahren jedes Jahr Soldaten aus aller Welt reisen. In dem Ort, wo im Jahr 1858 die 14-jährige Bernadette Soubirous von Marienerscheinungen berichtete, beten die Soldaten für Frieden und Versöhnung.
"In meiner Familie kann sich jeder seine Religion aussuchen", sagt Azeez. Sein Vater sei zwar Muslim, seine Mutter aber Christin. Als Kind wurde er christlich erzogen, und als er mit elf nach Deutschland kam, wandte er sich dem Islam zu. "Ich als der einzige Sohn meines Vaters stehe ihm natürlich zur Seite", sagt er. Weihnachten ist für ihn dennoch immer ein ganz besonderer Tag: Azeez feiert nämlich am 24. Dezember Geburtstag. (epd)