Die Evangelische Schule in Wolgast ermöglicht selbständiges Lernen

Raus aus dem Klassenraum: Seit fünf Jahren gibt es in Wolgast eine Evangelische Schule. 64 Kinder lernen nach reformpädagogischen Konzepten.

Die erste und zweite Klasse der Evangelischen Schule Wolgast auf Tuchfühlung mit den Kühen.
Die erste und zweite Klasse der Evangelischen Schule Wolgast auf Tuchfühlung mit den Kühen.Anja Goritzka

„Hier stinkt es ja gar nicht so wie bei den anderen Kühen“, ruft eine Schülerin der Evangelischen Schule Wolgast und hält dem „Schottischen Highland“ auf der Weide nahe der Stadt Wolgast Gras hin. „Ja, genau, im Stall bei den Milchkühen vorgestern hat es mächtig gerochen. Das lag aber hauptsächlich an dem Futter, was diese bekommen“, ergänzt eine Lehrerin. Einen Tag zuvor besuchten sie sozusagen das Pendant dazu: Einen Industriehof mit über 1000 Kühen in einem Stall. Die Grundschülerinnen und Grundschüler konnten sich die Melkmaschine anschauen.

„Wisst ihr, welche Kartoffeln wir jetzt essen können und welche für die Tiere sind“, fragt Lehrerin Susanne Beutner nach einem „Kartoffel-Rap“ und der Mittagspause auf dem Biobauernhof auf Usedom. Neugierig schauen die 21 Kinder der ersten und zweiten Klasse in den Eimer gefüllt mit Kartoffeln und lassen sich die Unterschiede der Knolle erklären. Zuvor hatten sie gelernt, wie Kartoffeln gesetzt werden und warum diese Pflanze für die Highland-Kühe des Hofes eher eine Süßigkeit sind.

Evangelische Schule: Raus aus dem Klassenraum

Es sind Projektwochen an der Evangelischen Schule von Wolgast, diesmal zum Thema „Natur und Ernte“ an der kleinen Schule in Trägerschaft der Evangelischen Schulstiftung der Nordkirche. Während die ersten und zweiten Klassen auf einem Biohof unterwegs sind, lernen wie Kartoffeln geerntet, Kühe artgerecht gehalten und Weizen angebaut werden, sind die Kinder der fünften und sechsten Klasse gemeinsam im Wald unterwegs. Ursprünglich war auch eine Übernachtung im Wald geplant, aber das Team entschied sich zwei Tage der Werkstattwoche fürs Lernen im Wald zu nutzen. „Die Kinder haben starke Charaktere. Wir wollen an zwei Tagen sie ein wenig zusammenführen“, erklärt Schulleiterin Ulrike Parke, damit es im Regelunterricht dann besser klappe.

Die Schulleiterin der Evangelischen Schule Wolgast, Ulricke Parke, auf einem Biobauernhof.
Die Schulleiterin der Evangelischen Schule Wolgast, Ulricke Parke, auf einem Biobauernhof.Anja Goritzka

18 Kinder lernen in der Orientierungsstufe der Evangelischen Schule Wolgast zusammen, dazu kommen die ersten und zweiten und dritten und vierten Klassen. Im August dieses Jahres konnte die Schule ihr fünfjähriges Bestehen feiern. Gegründet auf Initiative eines starken Elternvereins aus der Gemeinde St. Petri heraus. Zunächst sollte die Einrichtung ihr Zuhause in der alten sanierungsbedürftigen Janusz-Korczak-Schule von Wolgast erhalten, dann im ebenfalls renovierungsbedürftigen Schulhaus am Kirchplatz.

Ein neues Zuhause für die Evangelische Schule

„Die Kosten sind aber enorm gestiegen“, erklärt Parke weiter. Kosten, die die finanziellen Grenzen der Schule überstiegen, und Sorgen, die die inhaltliche Arbeit nicht erleichterten. Zum Glück konnte dann 2020 das sogenannte „100 Haus“ gemietet werden, auch ein altes Schulgebäude, aber komplett saniert. Eigentlich sollte hier ein Jugendhotel Platz finden. „Wir haben jetzt erstmal für zehn Jahre gemietet“, sagt die Schulleiterin. Im obersten Stock befindet sich zudem ein Hort für die Kinder derersten bis vierten Klasse.

Insgesamt 64 Kinder lernen an der Schule. Und die Nachfrage ist weiterhin groß. „In den letzten zwei Jahren hat sich die Zahl der Anmeldungen verdoppelt.“ Vielen Familien musste sie aber auch absagen, denn es seien nur zwölf Kinder pro Klasse möglich. Die Familien sind zudem sehr unterschiedlich, weiß Ulrike Parke: „Es gibt christliche Eltern, aber auch viele, die sagen, ich lasse mein Kind erst taufen, wenn es dies möchte. Dennoch machen viele Eltern mit.“ Das Besondere auch, die Kinder bereiten selber Andachten in der St. Petri-Kirche vor.

Reformpädagogische Konzepte aufbrechen

In den Sommerferien setzte sich die Schulleiterin mit ihrem zehnköpfigen Team zusammen. „Wir wollen das reformpädagogische Konzept aufbrechen. Raus in die Natur mit den Kindern, selbständiges Lernen ermöglichen.“ Dazu gehören jetzt drei Projektwochen im jetzigen Schuljahr. Den Anfang machte jetzt eine Woche unter dem Motto „Natur“ gefolgt von einer Erntedank-Woche. Die jeweiligen Klassen besuchten einen herkömmlichen Bauernhof und einen Biobauernhof, arbeiteten an einer Steinmühle im Wolgaster Tierpark, besuchten den Hirschhof in Hohendorf bei Greifswald, lernten den Apfel als Herbstfrucht kennen oder eben im Wald, was Teamarbeit heißt. In der Erntedank-Woche wurde gemeinsam gekocht und gebacken und ein Tisch für den Erntedank-Gottesdienst vorbereitet. Die selber gekochte Marmelade zum Beispiel konnte hier gekauft werden. Die Erlöse gehen an die Aktion „Brot für die Welt“.

Ulrike Parke ist seit 30 Jahren im Bildungsbereich tätig, davon 25 Jahre als Schulleiterin, hat in Berlin zwei private Schulen mit aufgebaut. „Wir wollen weg vom klassischen Seiten abarbeiten bei den Schülerinnen und Schülern. Und dennoch den Lehrplan einhalten.“ Dazu gehören auch besondere Projekttage mit Kooperationspartnern aus der Stadt Wolgast, wie der Eine-Welt-Laden. Hier ging es um das Thema „Kinder der Welt“ und woher die Schokolade komme. In den Werkstattwochen arbeiten dann alle Kolleginnen und Kollegen gemeinsam mit den Kindern zum jeweiligen Thema, auch zum Thema Zeit und zum Thema Heimat. Und im Sommer 2024 steht ein Zirkusprojekt an: „Hier wird klassenübergreifend gelernt.“