Deutscher Filmpreis in Gold geht an Familiendrama “Sterben”

Bei der Gala zum Deutschen Filmpreis lief einiges nicht rund: Die Moderation stolperte, die nominierten Filme versprühten wenig Glamour. Die Deutsche Filmakademie behalf sich mit einer Streuung der Preise.

So sah das Traumziel des deutschen Kinozuschauers 2023 aus: Ein Schloss in Transsilvanien, herabgesunken von seinem früheren Glanz, aber noch immer eine stilvolle Filmkulisse und standesgemäß von merkwürdigen Vorkommnissen heimgesucht. Drei jugendliche Spürnasen decken Rätsel auf und werden einmal mehr ihrem Ruf gerecht, der ihnen seit dem ersten “Die drei ???”-Buch von 1965 anhängt. Der Kult um die Jungdetektive ist hierzulande über mehrere Generationen etabliert, sodass der Erfolg des Kinofilms “Die drei ??? – Erbe des Drachen” im vergangenen Jahr nicht vom Himmel fiel.

Immerhin rund 1,6 Millionen Zuschauer lockte “Erbe des Drachen” in die deutschen Kinos, war damit 2023 der erfolgreichste Film aus hiesiger Produktion und heimste folgerichtig den Lohn ein: Bei der 74. Verleihung des Deutschen Filmpreises am Freitagabend in Berlin nahm das Team des “Drei ???”-Films die “Lola” entgegen und zog sich mit der Verheißung zurück, dass die nächsten beiden “Drei ???”-Filme bereits gedreht würden.

Mindestens drei Fragezeichen muss man auch hinter den Rest des Abends im Theater am Potsdamer Platz setzen. Mit der Idee, die Gala mit nicht weniger als sieben Moderatoren aufzuziehen, hatten die Organisatoren sich an ein Experiment gewagt, das krachend scheiterte. Die meiste Zeit standen sich die sieben nicht eben glorreich gegenseitig auf den Füßen.

Den Eindruck eines wenig kreativen Chaos verstärkte noch, dass die Auszeichnungen mal durchaus mit Überlegung in Szene gesetzt waren, andere dagegen völlig überstürzt und lieblos. So platzte noch vor der offiziellen Begrüßung der Ehrengäste die erste Auszeichnung ins Programm; der als Hauptdarsteller für das ungewöhnliche Weltkriegsdrama “Der Fuchs” ausgezeichnete Österreicher Simon Morze wirkte dann auch eher überrumpelt.

Dem gegenüber standen aber auch galawürdige Momente: Traditionelle Laudationes, in denen Gäste wie Sandra Hüller und Ilker Çatak mit Emphase ihre Kolleginnen und Kollegen hochleben ließen.

Für die verkrampfte Atmosphäre der Preisgala war es daher ein Segen, dass die Organisatoren von Vornherein nicht allein eine Feier der Filme ins Auge gefasst hatten. Die Veranstaltung sollte erklärtermaßen an die Massen-Proteste gegen Rassismus vom Anfang des Jahres anschließen, und auch gegen den seit dem vergangenen Herbst außer Rand und Band geratenen Antisemitismus sollte ein klares Gegengewicht gesetzt werden. Die 102-jährige Holocaust-Überlebende Margot Friedländer hatte den erhofften denkwürdigen Auftritt mit einem eindringlichen Appell für Menschlichkeit und gegen Judenhass und nahm auch Deutschlands Filmemacher in die Pflicht, ihre Kraft als Geschichtenerzähler für diese Ziele einzusetzen. Hanna Schygulla sprang ihr als diesjährige “Lola”-Ehrenpreisträgerin bei, sprach ihre eigene Kindheit als Flüchtlingskind und ihr Unverständnis über die Wiederkehr von Nazi-Gedankengut an.

Es ging natürlich auch um Filme, doch nahmen die prämierten Werke eher eine Nebenrolle ein. Der deutsche Film-Jahrgang 2023 hatte sich ohnehin nicht als besonders herausragend präsentiert. Auch wenn sich mit dem Science-Fiction-Thriller “Die Theorie von Allem”, dem deutsch-kurdischen Mystery-Drama “Im toten Winkel”, der sensiblen Integrationsgeschichte “Elaha” und den deutsch-österreichischen Koproduktionen “Der Fuchs” und “Ein ganzes Leben” vielschichtige und einfallsreich inszenierte Filme unter den Kandidaten für die “Lolas” wiederfanden, im regulären Kinobetrieb hatten sie allesamt kein großes Publikum gefunden. Alle fünf Werke hatten weniger als 400.000 Zuschauer – zusammengerechnet.

Und auch das Familien- und Künstlerdrama “Sterben” als sechster Kandidat für den “besten Film”, der erst eine Woche vor dem “Deutschen Filmpreis” in den Kinos angelaufen ist, kann bislang die Hoffnungen der Kinobetreiber nur in Ansätzen erfüllen.

Die Akademie hatte offensichtlich die Absicht, dieses Bekanntheitsdefizit mit einer Streuung der Preise auszugleichen. So gingen zwei Auszeichnungen an Simon Verhoevens knallbuntes “Milli Vanilli”-Porträt “Girl You Know It”s True”, für den Ton wurde der Tauch-Thriller “The Dive” geehrt, drei Preise für Kamera, Szenenbild und Visuelle Effekte gewann “Die Theorie von Allem”. “Sieben Winter in Teheran” über die letzten Jahre einer zum Tode verurteilten jungen Iranerin triumphierte nicht nur als “bester Dokumentarfilm”, sondern nahm auch den Preis für den Schnitt mit.

Weniger gesellschaftlich-politisch mahnend als persönlich berührt zeigten sich Nebendarstellerin Adele Neuhauser (“15 Jahre”) sowie Corinna Harfouch und Hans Uwe Bauer, die als Hauptdarstellerin respektive Nebendarsteller für “Sterben” geehrt wurden. Emotionale Momente, die dem Abend guttaten.

So hätte sich ohne die verunglückte Dramaturgie der Show durchaus ein Spannungsbogen ergeben können. Hatte Regisseur Matthias Glasner sich mit neun Nominierungen für sein autobiographisch geprägtes Projekt “Sterben” als klarer Favorit fühlen können, konnte er sich des Sieges im Laufe des Abends weniger gewiss sein. Vor der letzten Kategorie stand den drei Preisen für “Sterben” (neben den Darstellern gewann auch Filmkomponist Lorenz Dangel) insbesondere Ayşe Polats Doppelaufschlag gegenüber. Letztlich reichte es für “Im toten Winkel” aber nur für die “Lola in Bronze”, “Silber” ging an “Der Fuchs”, sodass “Sterben” doch noch den Hauptpreis mitnehmen konnte.

Ein wenig trotzig hatten Florian Gallenberger und Alexandra Maria Lara als Präsidenten der Deutschen Filmakademie im Vorfeld der Verleihung von einem “echten Lauf” des deutschen Films in der internationalen Wahrnehmung gesprochen. Eine Aussage, die durch das Ansehen herausragender Darsteller wie Sandra Hüller, Franz Rogowski oder Nina Hoss und auch von Regisseuren zwischen Wim Wenders, Maria Schrader und Edward Berger sehr berechtigt ist, mit dem Aufgebot des 74. Deutschen Filmpreises aber nicht viel neuen Schub erhielt.