Der Pazifismus des Papstes sorgt vielerorts für Verstimmung

Nur selten ist der Papst weltweit in Sozialen Netzwerken die meistdiskutierte Person. Nach seinen umstrittenen Äußerungen zum Ukraine-Krieg war es wieder so weit. Das Reizwort heißt: Weiße Flagge.

Die jüngsten Einlassungen des Papstes zum Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine haben in Deutschland und weiteren Nato-Staaten heftige Kritik ausgelöst. Sie wurden am Samstag bekannt, als der Tessiner TV-Sender RSI Teile eines bereits im Februar aufgezeichneten Interviews veröffentlichte. Darin sagte der Papst, wer den „Mut zur Weißen Flagge, zu Verhandlungen“ habe, sei der Stärkere.

Am schärfsten kritisierten die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Länder in Osteuropa diese Worte. Allerdings ging die Kritik meist nur auf den Begriff der „Weißen Flagge“ ein, den sie als eine Einladung zur Kapitulation deuteten; und darauf, dass der Papst keine vergleichbare Forderung nach Moskau gerichtet hatte.

Allerdings wurden in den politischen Reaktionen Worte aus dem Zusammenhang gerissen und zugespitzt. Und wieder einmal zeigte die „Flaggen-Affäre“, dass die Art, wie der Papst Interviews gibt, riskant ist: ungeschützt, ohne Autorisierung und ohne seine Medienabteilung.

Wieder musste sich der diplomatische Apparat des Heiligen Stuhls danach um Schadensbegrenzung bemühen. Neben dem Vatikansprecher, der faktisch dem Staatssekretariat untersteht, sprang auch der Vatikan-Botschafter in Kiew in die Bresche und versuchte die Worte des Papstes einzuordnen.

Die Erklärungsstrategie des Heiligen Stuhls geht dabei vom Wortlaut aus, der als Transkript vorliegt. Dort lautet die Frage, die den Papst aufs Glatteis führte: „In der Ukraine fordern manche den Mut zur Kapitulation, zur Weißen Flagge. Doch andere sagen, das würde dem Stärkeren Recht geben. Was denken Sie?“

Der Papst antwortet: „Das ist eine Interpretation. Aber ich glaube, dass derjenige der Stärkere ist, der die Lage begreift; der an die Bevölkerung denkt; er den Mut zur Weißen Flagge, zur Verhandlung hat.“ Wenig später betont er: „Verhandeln ist nie eine Kapitulation. Es ist der Mut, das Land nicht in den Selbstmord zu führen.“

In ukrainischen Reaktionen auf diese Worte wurden daraufhin historische Vergleiche gemacht. Ukraines Botschafter beim Heiligen Stuhl, Andrij Jurasch, fragte im Netzwerk X rhetorisch, ob etwa im Zweiten Weltkrieg jemand mit Hitler ernsthaft über Frieden gesprochen und die Weiße Fahne geschwenkt habe, um ihn zu befrieden. Mit Blick auf Putin fügte er hinzu, die Lektion aus der Geschichte sei: „Wenn wir den Krieg beenden wollen, müssen wir alles tun, um den Drachen zu töten!“

In dem Interview macht der Papst an anderer Stelle deutlich, dass er ein ganz anderes Weltbild hat. Kriege bezeichnete er darin pauschal als „kollektive Sünde“ und als „Irrsinn“, weil so viele Menschen darin sterben. Offensichtlich ist er geprägt vom „Irrsinn“ des Ersten Weltkriegs, in dem sein Großvater einst für Italien gegen Österreich-Ungarn kämpfte.

Und so erinnerte Franziskus in dem Interview an seinen Besuch der Soldaten-Massengräber in Redipuglia 2014, dem italienischen Verdun. Damals weinte der Papst öffentlich an den Gräbern. Die Frage, ob es auch Kriegsziele gibt, die – wie etwa die Vernichtung des Dritten Reichs – sogar Hunderttausende tote Soldaten rechtfertigen, wurde in dem Interview nicht angesprochen.

Dass die Diplomaten des Papstes in der internationalen Politik nicht ganz so pazifistisch sind wie ihr Chef, machte zwei Tage nach dem Weiße-Flagge-Diktum der Nuntius in Kiew deutlich. Erzbischof Visvaldas Kulbokas, ein gebürtiger Litauer, erinnerte an den sogenannten Holodomor in den 1930er Jahren, in dem Millionen Ukrainer starben, weil der sowjetische Diktator Josef Stalin sie in eine große Hungersnot trieb.

In der Ukraine werde eingedenk dieser Geschichte diskutiert, was am Ende mehr Opfer koste: ein Krieg gegen einen Aggressor oder ein Abkommen, erklärte der Vatikan-Diplomat. Und wenn es ein Abkommen gebe, dann dürfe es keinesfalls eine Unterwerfung sein. Ob diese Präzisierungen des Papstbotschafters ausreichen, um die derzeit gegen Franziskus schäumenden Gemüter in der Ukraine zu besänftigen, steht auf einem anderen Blatt.