Der Herbst naht – wie man eine Jahreszeit zu lieben lernt
Auch wenn der Sommer die vergangenen Tage noch einmal gegeben hat: Der Herbst naht – und damit eine ganz spezielle Jahreszeit, die man zu lieben lernen kann.
Da sind sie wieder: Neben Weintrauben, Zwetschgen und Federweißem stapeln sich in manchen Supermärkten schon Dominosteine, Printen und Christstollen in den Regalen. Die Übergangsjacke kommt wieder aus dem Schrank. Die Tage werden deutlich kürzer, die Nachttemperaturen kühler, auch wenn der Sommer sich noch einmal aufbäumt.
“An Mariä Geburt fliegen die Schwalben furt”, heißt es in alten Bauernregeln zum 8. September. Unübersehbar, sammeln sich die Vögel derzeit wieder auf Stromleitungen, an Kirchendächern oder auf Felsvorsprüngen. Und bereiten sich mit waghalsigen Flugmanövern auf die 4.000 Kilometer lange Reise nach Afrika vor. Dabei müssen sie die Alpen, das Mittelmeer und die Sahara überqueren.
Herbst in Umfragen nicht beliebt
In Umfragen rangiert der Herbst bei den Deutschen in der Beliebtheitsskala weit hinter Sommer und Frühling. Er steht gelegentlich für Ernte und Fülle, meist aber für Vergänglichkeit und Melancholie. Begriffe wie “Herbst des Lebens”, “Herbst des Mittelalters” oder Buchtitel wie “Der Herbst des Patriarchen” zeigen das. Der November lässt grüßen.
“Wenn die Tage wieder kürzer werden, steigt die Lust auf Süßigkeiten und Kohlenhydrate”, warnen pünktlich zum Start der Jahreszeit allerhand Lifestyle-Magazine. Sie präsentieren auch schon die Modefarben der Herbstsaison: Von Dunkelblau über Oliv bis Bordeaux bestimmen satte und kräftige Farben die kühlere Jahreszeit.
In der Dämmerung morgens zur Arbeit, in der Dunkelheit abends nach Hause – das einzige Licht geben die Neonröhren im Großraumbüro ab. Da hilft nur, ein Gegenprogramm zu planen: Knisterndes Kaminfeuer, Waldspaziergänge, Abende mit Käsefondue und Feuerzangenbowle oder Nachmittage mit Tee, Pflaumenkuchen und einem guten Buch. Nicht umsonst kommen die meisten neuen Bücher im Herbst auf den Markt.
Zeit ist auch für Herbstkirmes, Erntedank- und Oktoberfeste. Schließlich geht der Begriff “Herbst” auf das germanische Wort “harbista” zurück, das “Erntezeit” bedeutet und beispielsweise auch im englischen Wort “harvest” für Ernte aufscheint. Ihre vorläufigen Erntebilanzen hat der Deutsche Bauernverband schon vorgelegt. Eine extrem nasse Witterung von Herbst bis Frühsommer, fehlende Sonne und schließlich immer wieder Niederschläge zur Erntezeit – all das hat die Bauern in diesem Jahr vor enorme Herausforderungen gestellt, wie Bauernpräsident Joachim Rukwied sagte. Der Klimawandel sei deutlich zu spüren.
Kurt Tucholsky hasste den Herbst
Kommt jetzt doch noch der Goldene September? Vielleicht lässt sich der Herbst-Blues mit falling leaves und grauen Nebelschleiern noch ein wenig aufschieben? “Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr”, heißt es im Rilke-Gedicht “Herbsttag”, das die zwei Seiten dieser Jahreszeit beschreibt: einerseits die Fülle und Vollendung, die südlicheren Tage, und die letzte Süße im schweren Wein. Und andererseits die Einsamkeit und das unruhige Wandern, “wenn die Blätter treiben”.
Der Schriftsteller Kurt Tucholsky hasste den Herbst: “Herbst? Mürrisch zieht sich die Haut der Erde zusammen, dünne Schleier legt sich die Fröstelnde über, Regenschauer fegt über die Felder und peitscht die entfleischten Baumstümpfe, die ihre hölzernen Schwurfinger zum Offenbarungseid in die Luft strecken: Hier ist nichts mehr zu holen”, so schrieb er im Oktober 1929 in der “Weltbühne”. “Die Sonne geht zur Kur.”
Doch dann wendet sich Tucholsky diesen eigentümlichen wenigen Tagen zwischen Nicht-mehr-Sommer und Noch-nicht-Herbst zu – “wenn sich die Natur niederlegt wie ein ganz altes Pferd, das sich im Stall hinlegt, so müde ist es”. Die Natur hält den Atem an: “Nun ist alles vorüber: geboren ist, gereift ist, gewachsen ist, gelaicht ist, geerntet ist – nun ist es vorüber.” Das Räderwerk steht still.
Wie schön wäre es, wenn man den Sommer im Kopf speichern könnte – so wie es ein Goethe zugeschriebenes Gedicht formuliert: “Auch das ist Kunst, ist Gottes Gabe, aus ein paar sonnenhellen Tagen sich so viel Licht ins Herz zu tragen, dass, wenn der Sommer längst verweht, das Leuchten immer noch besteht.”