Der Gipfel der Christenheit

Neun Tage lang wird Karlsruhe die christliche Hauptstadt: Erstmals in der über 70-jährigen Geschichte des Weltkirchenrates tagt dessen höchstes Gremium, die Vollversammlung, in Deutschland – ein kirchenhistorisches Ereignis.

Auf dem Schlossturm in Karlsruhe ist die Fahne der ÖRK-Vollversammlung gehisst worden
Auf dem Schlossturm in Karlsruhe ist die Fahne der ÖRK-Vollversammlung gehisst wordenPeter Sandbiller / epd

Karlsruhe. Ukraine-Krieg, Corona-Pandemie und Klimawandel: Selten werden weltliche Themen auf einer Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) so im Vordergrund stehen. Das höchste Gremium des Weltkirchenrates, wie der ÖRK auch genannt wird, tagte zuletzt 2013 im südkoreanischen Busan, davor 2006 im brasilianischen Porto Alegre. Zu dem internationalen Treffen werden laut ÖRK rund 4.500 Gäste erwartet.

Das Event steht unter dem Motto „Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt“. Neun Tage lang – vom 31. August bis 8. September – wollen die Kirchen zeigen, was sie für eine friedvollere und geeintere Weltgesellschaft tun können.

Was hinter dem ÖRK steckt

Der Weltbund versteht sich als Gemeinschaft von Kirchen mit dem Ziel der „sichtbaren Einheit“. Dem Weltkirchenrat gehören 352 protestantische, anglikanische, orthodoxe und altkatholische Kirchen sowie Freikirchen aus mehr als 120 Ländern an, die nach eigenen Angaben weltweit über 580 Millionen Christinnen und Christen vertreten. Die römisch-katholische Kirche ist nicht Mitglied, arbeitet jedoch seit Ende der 1960er Jahre mit dem ÖRK zusammen.

21 bunte Schiffe segeln nebeneinander für diese ÖRK-Sonderbriefmarke
21 bunte Schiffe segeln nebeneinander für diese ÖRK-SonderbriefmarkeChristine Süß-Demuth / epd

Mit Spannung – zum Teil auch mit Argwohn – wird eine Delegation der russisch-orthodoxen Kirche erwartet. Wegen des Moskauer Patriarchen Kyrill I., der als enger Vertrauter des russischen Präsidenten Wladimir Putin gilt und Russlands Vorgehen in der Ukraine unterstützt, war wiederholt der Ausschluss seiner Kirche aus dem Weltkirchenrat gefordert worden.

„Selbst wenn die Verständigung zurzeit schwierig ist, müssen wir die Wege der Kommunikation unbedingt offenhalten“, sagte die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Ich erhoffe mir, dass auf kirchlicher Ebene eine Kommunikation möglich wird, die auch politisch etwas austrägt.“ Vor allem die „Stimme der Ukraine“ soll in Karlsruhe präsent sein, so der amtierende ÖRK-Generalsekretär, der Rumäne Ion Sauca, mit Blick auf die Teilnahme einer ukrainischen Kirchendelegation.


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Weiteres mögliches Streitthema ist der Nahost-Konflikt. Der Weltkirchenrat steht seit Jahren in der Kritik, im Nahost-Konflikt einseitig Partei für die Palästinenser zu ergreifen. Immer wieder weist der ÖRK die Vorwürfe zurück. Seit seiner Gründung 1948 in Amsterdam „prangert der Weltkirchenrat beständig Antisemitismus an“, sagte der ÖRK-Direktor für internationale Angelegenheiten, Peter Prove, dem Magazin „chrismon“.

Wo es Streit geben könnte

Gastgeber des Welt-Ökumene-Gipfels sind die deutschen Kirchen. Bereits jetzt gibt es Signale aus dem Weltkirchenrat, dass man auf deutsche Befindlichkeiten wenig Rücksicht nehmen wird. Das könnte nicht nur beim Nahost-Konflikt und der Kritik an Israel deutlich werden. Das könnte auch bei der Problematik Postkolonialismus eine Rolle spielen.

Der Weltkirchenrat wurde vor allem von europäischen und US-Kirchen gegründet. Inzwischen stammen die meisten Mitglieder aus dem globalen Süden – und deren Stimmen werden lauter. „Denn es gibt ja tatsächlich klare Folgen des Kolonialismus, die sich bis heute auswirken“, sagte der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, dem epd: „Es gibt ein internationales Gerechtigkeitsproblem, etwa bei der Verteilung von Nahrung oder Medizin.“ Daher sei es auch für die wohlhabenden Länder wichtig, diese Stimmen deutlich und klar zu hören, so der bayerische Landesbischof.

Weiteres Konfliktpotenzial liegt in den unterschiedlichen ethischen Fragen, etwa was den Umgang mit Homosexualität oder der Ordination von Frauen ins geistliche Amt angeht. Hier bleiben die Fronten verhärtet. (epd)