Der Garten – alles begann dort und endet darin

Wo Gott im Kühlen wandelte. Alles begann in einem Garten, und alles endet darin. Ein liebevolles Essay über den Garten von Barbara Manterfeld-Wormit

Gartenidyll
GartenidyllIMAGO / Blickwinkel

Ein kleines Stück Natur zum Seele Baumeln lassen – das wünschen sich viele Menschen, und die, die eines haben, preisen sich glücklich. Das Gärtnern kann zwar anstrengend, aber auch sehr befriedigend sein. Und das Gefühl, zwischen Bäumen und Blumen für einen Moment zur Ruhe zu kommen, ist unbezahlbar.

Mein Sehnsuchtsort „Garten“

Ich habe keinen Garten, doch ich vermisse ihn täglich. „Sei froh, dass du keinen hast“, meint meine Mutter: „Ein Garten macht viel zu viel Arbeit!“, und ich schüttle den Kopf und denke dabei an meinen Garten. Er gehörte zum Pfarrhaus, in dem wir als junge Familie wohnten: Krumme Apfelbäume standen darin. Im Frühjahr regnete es weiße Blüten, die dufteten wie eine volle Honigwabe. Die Kinder kletterten barfuß im Geäst herum und schaukelten selig in der Hängematte, die zwischen zwei Stämmen gespannt war. Silberpapeln rauschten, wenn wir an Sommerabenden mit Freunden draußen saßen. Nach getaner Schreibtischarbeit lief ich barfuß über das feuchte Gras.

Garten im Herbst
Garten im HerbstIMAGO / Ralph Lueger

Im Herbst kehrten wir massenhaft Laub zusammen. Ich liebte den würzigen Duft nach Erde und Blättern, und ich mochte es, abends vollkommen fertig und erschöpft zu sein. Ich liebte auch den Muskelkater am Tag danach, ich liebte es auch, auf dem Rasenmäher zu knattern, wo das Gras viel zu hoch war, um noch anständig gemäht werden zu können.

Vogelgesang ist die schönste Musik am Morgen

Auf dem Nachbargrundstück hatte eine Fuchsfamilie ihren Bau. Im Frühjahr tollten die Jungen in der Morgensonne auf unserem Rasen. Es gab Buntspechte und eine Amsel, die abends in den Baumwipfeln von der Schönheit des Lebens und dieser Schöpfung sang, so dass es wehtat – sie sang so sehnsuchtsvoll, wie nur Vögel es können. Ich habe diesen Garten geliebt. Doch leider: Es war nicht mein Garten, er war nur geliehen.

Singvogel Amsel
Singvogel AmselIMAGO / Cavanimage

Mit dem Stellenwechsel zogen wir in eine Altbauwohnung.

Ich habe nun einen üppig bepflanzten Balkon, der im Sommer mein zweites Zuhause ist – ein Paradies über den Dächern von Berlin. Doch nachts habe ich einen regelmäßig wiederkehrenden Traum: Es rauschen darin Silberpappeln. Die Amsel singt. Es regnet Apfelblüten. Alles begann mit einem Garten, und alles endet darin: Die Schöpfung vollendet sich im Paradies, wo Adam und Eva zuhause sind. Gott selber, so erzählt die Genesis, geht in der Abendkühle im Garten Eden spazieren: Alles ist – noch – im Gleichgewicht. Es ist kein Zufall, dass am Ende der auferstandene Jesus wieder in einem Garten Maria Magdalena begegnen wird: Mann trifft Frau und erkennt ihn, den sie zuerst für den Gärtner gehalten hat. Gott und Mensch – im Garten finden sie zueinander.

Der Garten als Gegenentwurf zur digitalen Existenz

Die Sehnsucht nach dem Garten – sie scheint in unserer menschlichen DNA zu stecken. Wir suchen darin Ruhe und Abgeschiedenheit vor unserem lauten, oft fordernden Alltag. Wir suchen Schatten und Kühle inmitten von Hitzewellen. Wir können uns buchstäblich darin erden und mit dem Gärtnern ein Gegenwicht zur digitalen Existenz schaffen, die so wenig sinnlich und körperlich ist und von vielen als Entfremdung vom Wesen des Menschen empfunden wird.

Wir können ankommen und ausruhen im Grünen, denn: Was gibt einem mehr Halt in dieser globalen Welt, als die Abgeschiedenheit und Konzentration eines Gartens? Auch das gehört dazu: Gärten sind überschaubar, weil sie abgegrenzt sind. Sie haben Zäune, Hecken, Mauern, die sie umgeben.

Der Garten als privater Ort

Eine Pforte gewährt Eingang. Gärten benötigen diesen Schutz als Abgrenzung nach außen, sonst graben die Wildschweine alles um oder laden andere hier ihren Müll ab. Sonst kommen Menschen rein, die ich nicht haben will. Gärten sind in der Regel privat – oder mindestens gesichert durch Eintritt, der erhoben wird. Sie stehen nicht allen uneingeschränkt zur Verfügung.

Kleingarten Holztür
Kleingarten HolztürImago / Gottfried Czepluch

Der Gartenzwerg im Kleingärtnerparadies mag daran auch erinnern: Mein Garten ist immer auch ein mühsam bewahrtes Stück heiler kleiner Welt, ein Ausblenden der Realität da draußen, ein Stück Weltflucht, ein Versuch der Ausgrenzung.

In Großstädten, wo Lebensraum knapp ist, sind Wohnungen „mit Gartenanteil“ unerschwinglich – und bei Tageslicht besehen kaum Garten zu nennen, eher zwei Quadratmeter harter Boden direkt neben Parkplätzen und Mülltonnen. Gärten sind Luxus. Die einen haben ihn – die anderen nicht. Sie müssen leider draußen bleiben – so wie Adam und Eva nach dem Sündenfall. Und dennoch bleibt die Sehnsucht bei vielen nach einem kleinen Stück Paradies.

Der Garten als Ort der Beständigkeit

Jeder Garten ein Versprechen Denn: Gärten sind Orte der Beständigkeit und der Vertrautheit: Beheimatung der Seele. So wie jede Gartenbesitzerin weiß, wie die Rosen an der Hecke duften und wo der Kirschbaum steht, so ist jeder Garten ein Versprechen: Auf jeden Frühling folgt der Sommer, auf Sommer folgen Herbst und Winter. Auf die Starre folgt blühendes Leben und üppige Fülle, folgt Ernte, ehe alles von vorne beginnt. Ein verlässlicher Kreislauf aus Werden und Vergehen, Sterben und Wachsen. In Zeiten des rasanten Wandels werden Gärten zu Fixpunkten, an denen ich andocken kann, wenn ich mich zu verlieren drohe.

Wer durch Gärten spaziert, egal ob zuhause oder auf Reisen, der taucht ein in diesen Kreislauf und spürt, wie dabei die Zeiten ineinanderfließen.

Der Garten erschließt mir die Relativität meiner eigenen Existenz. Gärten sind ein Geschenk. Orte auf Zeit. Mein Verweilen darin ist begrenzt. Es gibt ein Leben jenseits des Paradieses. Doch oft genügt ja bereits das Wissen darum, dass es dieses Paradies gibt. Ich muss nicht immer dort sein. Es genügt eine kurze Auszeit – ein Spaziergang am Abend, ein Kaffee in der Morgensonne, ein Picknick auf der Decke und manchmal auch ein Traum in der Nacht.

Jeder Garten ist ein Tor zurück an den Ursprung – hier kann ich sein, kann ich wieder zu mir finden, auf Tuchfühlung mit Gott und seiner Schöpfung. Ein Bild dafür ist der betende Jesus im Garten Gethsemane. Wo liegen die schönsten Gärten? Einen habe ich beschrieben. Der andere liegt in Verona: Versteckt hinter Häusermauern befindet sich der Giardino Giusti, einer der letzten noch ursprünglich angelegten Renaissancegärten Italiens.

Garten Verona
Garten VeronaIMAGO / Panthermedia

Dort erwarten einen römische Statuen, eines der ältesten Heckenlabyrinthe Europas, Wasserspiele und Zypressen. Goethe hat den Garten auf seiner Italienreise besucht. Über die Zypresse schrieb er: „Ein Baum, dessen Zweige von unten bis oben gen Himmel streben, der seine 300 Jahre dauert, ist wohl der Verehrung wert.“ 2020 fällte ein Sturm samt Starkregen den Baum. Auch Gärten sind bedroht. Wir brauchen sie – in ihnen begegnet uns Gott.

Barbara Manterfeld-Wormit ist Rundfunkbeauftragte der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und Senderbeauftragte beim rbb.