Den deutschen Parlamenten fehlt es an Vielfalt
Menschen mit Einwanderungsgeschichte sind im Bundestag und den Landtagen unterrepräsentiert. Die fehlende Repräsentanz hat Folgen, warnen Forschende in einer Studie.
Obwohl immer mehr Menschen in Deutschland einen Migrationshintergrund haben, sind sie in Parlamenten laut einer Studie weiterhin vergleichsweise wenig vertreten. Dies gelte vor allem in westdeutschen Flächenländern, so das Ergebnis einer Studie der Hochschule München mit dem Titel “Repchance”, die von der Robert-Bosch-Stiftung gefördert worden ist.
Demnach hat jeder Vierte in Deutschland einen Migrationshintergrund. Unter den Abgeordneten des Bundestags sind es dagegen nur 11,4 Prozent – im Schnitt der Landesparlamente sogar nur 7,3 Prozent. Das könne Folgen haben, warnt der Experte der Robert-Bosch-Stiftung für Fragen der Einwanderungsgesellschaft, Ferdinand Mirbach: “Das Gefühl, in politischen Prozessen nicht angemessen repräsentiert zu sein, kann das Vertrauen in die Demokratie nachhaltig erschüttern.”
Ostdeutsche Parlamente haben Nachholbedarf
Lediglich in den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg liegt der Anteil der Abgeordneten mit Migrationshintergrund höher als der Anteil an der wahlberechtigten Bevölkerung: In der Hamburger Bürgerschaft sind es zum Beispiel 21,1 Prozent. In ostdeutschen Flächenländern kommen Parlamentarier mit Migrationshintergrund mit einem durchschnittlichen Anteil von 1,5 Prozent weiterhin nur selten vor. Allerdings leben dort auch deutlich weniger Wahlberechtigte aus dieser Gruppe.
Abgeordnete mit Migrationshintergrund sind der Untersuchung zufolge vor allem bei SPD, Grünen und Linkspartei zu finden. Diese Parteien seien hauptsächlich für den Anstieg in den vergangenen Jahrzehnten verantwortlich, heißt es. Bei Union, FDP und AfD seien vor allem Abgeordnete mit sichtbarem Migrationshintergrund dagegen selten. Insgesamt stelle die AfD mehr Parlamentarier mit Einwanderungsgeschichte als Union und FDP – überproportional häufig solche aus Osteuropa oder dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Türkei- und iranstämmige Abgeordnete sind dagegen überwiegend bei SPD, Grünen und Linkspartei zu finden.
Abgeordnete mit Migrationshintergrund machen laut Studie im parlamentarischen Alltag oft die Erfahrung, instrumentalisiert oder diskriminiert zu werden. So berichteten etliche, dass sie trotz anderer fachlicher Expertise eher Migrations- oder Integrationsthemen “zugewiesen” bekommen hätten. Mehr als die Hälfte der in Einzelinterviews Befragten gab an, in der eigenen Fraktion Strukturen und Gewohnheiten zu erkennen, die Menschen mit Einwanderungsgeschichte benachteiligten.
Forschende empfehlen Förderung
Um die Repräsentanz zu verbessern, empfehlen die Forschenden der Hochschule München um den Politologen Andreas Wüst unter anderem individuelle und persönliche Förderung über sogenanntes Mentoring, also die Unterstützung durch erfahrene Politiker. Oft trauten sich politisch Interessierte mit Einwanderungsgeschichte nicht zu, für ein Mandat oder Amt zu kandidieren, auch weil detaillierteres Wissen über politische Prozesse fehle, sagte Wüst. Daher seien politische Bildung und gezielte Ansprachen wichtig. Auch sollten neue Abgeordnete zu Beginn ihrer Tätigkeit besser begleitet werden. Und schließlich müssten sich die Parteien mehr als bisher öffnen, so der Forscher: “Ein wichtiger Schlüssel kann zum Beispiel die Einladung in Netzwerke sein.”
Für die Studie wurde in acht Kommunen, allen 16 Landtagen und im Bundestag zum Stichtag 31. Dezember 2021 erhoben, wie viele Abgeordnete einen Migrationshintergrund hatten. Zudem führten die Forschenden zwischen Juli 2022 und Dezember 2023 ergänzend 77 Interviews. Darunter waren 60 mit aktuellen oder ehemaligen Mandatsträgern sowie – zum Vergleich – 17 mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. “Repchance” ist als internationale Vergleichsstudie für die Länder Deutschland, Niederlande, Schweiz, Spanien und Großbritannien angelegt. Im Frühjahr 2025 sollen vergleichende Ergebnisse vorgelegt werden.