Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen

Es ist eine Feder, mit der alles beginnt. Langsam flattert sie, von leichtem Wind getrieben, durch die Bäume, bleibt fast an einem Auto kleben, bis sie bei Forrest Gump landet. Der sitzt auf einer Bank an einer Bushaltestelle, steckt sie in ein Buch und beginnt, seiner Banknachbarin sein Leben zu erzählen. Ein Leben, das ihn, ohne dass er es wollte, zu den Schnittstellen amerikanischer Geschichte führte. „Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen: Man weiß nie, was man bekommt“, sagt er zu seiner Nachbarin.

Das klingt naiv, und aus der Sicht eines Unbedarften erzählt auch der Film dessen durchaus irrwitzige Geschichte. Der kleine Forrest Gump hat nur einen Intelligenzquotienten von 75, und wegen einer Rückenverkrümmung muss er metallene Beinschienen tragen. Auf der Highschool in den Südstaaten lernt er seine große Liebe Jenny kennen, die ihm zubrüllt: „Lauf“, als er von drei jugendlichen Rüpeln verfolgt wird. Und das Laufen wird sein Leben bestimmen, er schafft es über die Football-Mannschaft sogar auf ein College, weil er so schnell ist wie kein anderer. Später einmal wird er drei Jahre lang durch die USA rennen, gefolgt von einer Schar von Mitläufern. Vor 30 Jahren, am 6. Juli 1994, startete der Film „Forrest Gump“ in den amerikanischen Kinos.

Gump – als Erwachsener gespielt von Tom Hanks – ist immer da, wo US-Geschichte geschrieben wird: Er lernt drei Präsidenten kennen, Kennedy, Johnson und Nixon; er spricht mit John Lennon in der Dick-Cavett-Show; er ist dabei, als Gouverneur George Wallace schwarzen Studenten die Uni-Einschreibung verweigern will, und er setzt per Zufall den Watergate-Skandal in Gang – weil ihn die Taschenlampen der Agenten beim Schlafen im Watergate-Hotel stören.

Überhaupt bestimmt der Zufall sein Leben, auch seine Begegnungen mit Jenny, als Erwachsene gespielt von Robin Wright. Mit ihr, seiner großen Liebe, hat er nicht so viel Glück hat wie in seinem übrigen Leben, das ihn zum Millionär werden lässt: durch Shrimps-Fang und Apple-Aktien („irgendwas mit Früchten“).

Mit für die damalige Zeit ausgefeilter Computer-Tricktechnik schaffte es Regisseur Robert Zemeckis, dass der einkopierte Tom Hanks in Archivaufnahmen auch heute noch betörend echt wirkt. Zemeckis, der durch „Falsches Spiel mit Roger Rabbit“ schon Erfahrungen mit der Technik hatte, ließ sogar die Mundbewegungen in den Archivaufnahmen verändern, sodass die Politiker lippensynchron sprachen. Insgesamt wurden 45 Minuten des fast zweieinhalbstündigen Films mit Computertechniken wie Morphing erzeugt.

Mindestens genauso faszinierend erscheint die Erzählweise des Films, die aus der Perspektive des Naiven die Wunden der amerikanischen Geschichte bloßlegt – auch wenn die Gegenkultur und Anti-Vietnam Bewegung der 1960er Jahre, in die Jenny eintaucht, schlecht wegkommen.

„Forrest Gump“ ist eine sanfte Satire, die sich nie über ihren Protagonisten lustig macht – sondern nur über die Verhältnisse. Und die Magie des Films rührt auch daher, dass er über vier Jahrzehnte eine ergreifende Liebesgeschichte erzählt, an deren Ende Jenny stirbt.

Der Film war ungeheuer erfolgreich, ein Blockbuster. In Deutschland, wo der Film am 13. Oktober 1994 startete, kam er auf 7,6 Millionen Besucher. 13 Mal nominierte ihn die Academy für die „Oscars“, sechsmal hat er die Trophäe gewonnen. „Forrest Gump“ erhielt unter anderem den Oscar für den besten Film, die beste Regie, den besten Hauptdarsteller.

Sieht man ihn heute wieder, merkt man auch schmerzlich, wie sich das amerikanische Blockbuster-Kino in den drei Jahrzehnten verändert hat, weg von emotional geprägten Lebens- und Beziehungsgeschichten hin zu den Materialschlachten und Weltraumepen. Filme wie „Forrest Gump“ werden heute nicht mehr in den US-Studios hergestellt.

Die Hauptdarsteller Tom Hanks und Robin Wright waren schon bekannt, als sie den Erfolgsfilm drehten, aber für beide bildeten die 1990er Jahre einen Höhepunkt ihrer Karriere. Für Robin Wright bedeutete „Forrest Gump“ sicherlich der Durchbruch, für Tom Hanks das endgültige Ende seines Images als unbedarfter, hauptsächlich in Komödien eingesetzter junger Mann. Vor „Forrest Gump“ war er bereits in dem Aids-Drama „Philadelphia“ zu sehen, bei beiden Filmen gewann er den „Oscar“ als bester Hauptdarsteller.

Man kann es als schöne Fügung der Geschichte sehen, dass 30 Jahre nach „Forrest Gump“ Ende dieses Jahres ein neuer Film mit Wright und Hanks in die Kinos kommt: „Here“, wieder mit aufwändiger Tricktechnik inszeniert von Robert Zemeckis. Und auch wieder ein Liebesfilm über mehrere Jahrzehnte hinweg.