Champions für den Frieden

Seit 1998 hält der im Karfreitagsabkommen mühsam errungene Waffenstillstand zwischen den katholisch geprägten Nationalisten und den protestantischen Loyalisten. Doch damit könnte es nach einem Brexit bald vorbei sein. Aber es gibt Hoffnung

Brooklyn, Maude und Gary lieben Basketball. Sie kommen gerade vom Spielfeld zurück. Gleich wollen sie mit ihren Teams zu Abend essen. Die Stimmung unter den Jugendlichen ist ausgelassen. „Hier habe ich Spaß, treffe ich meine Freunde“, erklärt Gary. Zusammen mit anderen Teenagern nimmt er etwas außerhalb von Belfast am Trainingscamp der PeacePlayers teil. Die Leidenschaft zum Basketball verbindet sie. Doch dahinter steckt mehr: Bei den PeacePlayers spielen katholische und protestantische Kids zusammen.

Basketball – und ganz viel miteinander reden

Die 15-jährige Brooklyn ist Katholikin und seit der Grundschule bei den PeacePlayers. „Es geht nicht nur um Sport. Wir reden über Vorurteile und Diskriminierung.“ Gary pflichtet bei. „Wir diskutieren viel über protestantisch oder katholisch, aber am Ende sind die Debatten immer konstruktiv.“
Außerhalb der PeacePlayers sieht Brooklyns Alltag anders aus. Da ist sie in ihrer Schule zusammen mit Jugendlichen derselben Konfession. In ihrer Freizeit trifft sie sich aber inzwischen wie selbstverständlich mit den protestantischen Spielern aus ihrem Team.
Etwa mit Maude. Die Protestantin geht jeden Sonntag in die Kirche und ist seit vier Jahren im Basketball-Team. Ihre beste Freundin hier sei Nora. Eine Katholikin.
„Es hat gedauert, zehn bis zwölf Jahre, bis wir mit unserer Arbeit Früchte ernten konnten“, sagt Gareth Harper, der Geschäftsführer der PeacePlayers. Die Idee, an Schulen zu gehen und dort mithilfe von Basketball gegensätzliche Gruppen zusammenzubringen, komme aus den USA, erzählt Harper.
Stolz schaut er auf die Entwicklung seiner Organisation. „Wir erhalten als erstes staatlich gefördertes Sportprojekt überhaupt einen Zuschuss von der EU. Inzwischen sind rund 3000 Jugendliche zwischen neun und 25 Jahren bei uns und wir haben 40 bis 50 Mitarbeiter im Team.“ Allein im letzten Jahr habe man 2500 Kinder an 36 Grundschulen erreicht.
„Wir haben da zum Beispiel eine Diskussionsrunde namens ,Nicht in mein Team‘, in der Verhaltensmuster angesprochen werden, die immer wieder vorkommen. Nach dem Motto: Warum wählt man den nicht ins Team, der ein britisches Union Jack T-Shirt trägt? Darüber hinaus nutzen wir die Streits auf dem Spielfeld zum Debattieren. Und wenn Eltern zu mir kommen und sagen: ,Mein Sohn hat mit mir zu Hause Diskussionen über unsere Flaggen oder Symbole angefangen‘, sage ich: Perfekt. Genau das wollen wir. Ich nenne unsere Kids gerne Champions für den Frieden.“
Rückschläge gibt es. Die würden oft durch die Regierungspolitik ausgelöst. Wie bei der Debatte, wann und wie oft die britische Flagge am Belfaster Rathaus gehisst werden soll. „Als die Entscheidung getroffen wurde, sie abzuschaffen, gab es massive Proteste von der protestantischen Seite. Eltern fragten mich, ob es noch sicher sei, ihr Kind zu uns zu schicken“, fällt Harper ein. „Mit PeacePlayers versuchen wir, die Mauern in den Köpfen einzureißen. Bis die echten fallen, braucht es Zeit. Theoretisch wollen viele Menschen die Mauern in ihren Hintergärten eigentlich nicht mehr, aber aus Gewohnheit und Angst vor dem unbekannten Nachbarn bleiben sie eben doch stehen. Dabei sind sie doch alle Christen, sitzen alle im selben Boot.“
Das sieht auch Alan McBride so.   Sein Leben änderte sich am 23. Oktober 1993 schlagartig, als er seine Ehefrau beim Shankill-Street-Bombenanschlag der IRA verlor. „Es war Samstag und meine Frau half ihrem Vater im Fish & Chips Shop aus, als die Bombe detonierte und acht Menschen in den Tod riss“, erzählt er im Büro des Wave-Trauma Centers, in dem er seit dem Jahr 2000 arbeitet. Darüber hinaus engagiert er sich als Mitglied der nordirischen Menschenrechtskommission. Von einer Sekunde auf die andere, so schildert er, wurde er  zum Witwer und stand mit seiner erst zweijährigen Tochter alleine da. „Aber meine Familie und der Glaube haben mir geholfen.“
Im Jahr 2009 machte der Protestant einen symbolischen Schritt, der ihm in der Öffentlichkeit Anerkennung einbrachte: Er traf sich mit Gerry Adams, dem ehemaligen Kopf der Partei Sinn Féin, damals der politische Arm der IRA. „Die Versöhnung sollte im Fernsehen erfolgen, aber ich wollte ihn erst mal privat treffen. Wir haben miteinander gesprochen und Hände geschüttelt und er hat sich bei mir entschuldigt, für das, was passiert ist. Er sagte, der Konflikt musste sein und war notwendig. Das sehe ich natürlich anders. Später habe ich bei einer Konferenz auch noch einen anderen IRA-Mann getroffen, der den Shankill-Terroranschlag damals mitorganisiert hat. Auch hier habe ich keine Rache oder Hass gefühlt, sondern habe für mich lediglich die Legitimität von Gewalt hinterfragt.“
Von Rocky bekommt man die andere Seite der Geschichte zu hören.  Das ehemalige IRA-Mitglied arbeitet für die Organisation Coiste, die politisch geführte Touren auf den Spuren der gewaltsamen Aufstände „Troubles“ durch Belfast anbietet. Seine Geschichte beginnt mit der in seinen Augen unrechtmäßigen Kolonialisierung Irlands durch die Briten, die in den folgenden Jahrhunderten die Ureinwohner immer mehr unterdrückten.  

„In Käfigen gehalten. Und regelmäßig gefoltert.“

Rockys Tour startet an dem Ort, an dem das Ballymurphy-Massaker stattfand. Ein Denkmal mit den Namen der Opfer erinnert an den Vorfall vom 9. bis 11. August 1971, als britische Fallschirmjäger elf katholische unbewaffnete Zivilisten töteten. „Bis heute warten Angehörige auf einen offiziellen Untersuchungsbericht“, berichtet er und streichelt dabei seinen Hund Saoirse, was auf gälisch „Freiheit“ bedeutet und unterstreicht, wofür die katholischen Nationalisten auch heute noch kämpfen. Rocky erzählt, wie er sich als Jugendlicher im Alltag vom britischen Militär, das auf den Hausdächern positioniert war und ihn und seine Freunde observierte oder auf der Straße nach Ausweisen kontrollierte, bedrängt und provoziert fühlte. Er sich deshalb als 13-Jähriger dazu entschloss, der IRA beizutreten. Und wie die Polizei eines Morgens bei ihm die Türe eintrat, ihn bewusstlos schlug und ins Gefängnis brachte. „Wir wurden wie in Käfigen gehalten und regelmäßig gefoltert.“ Irgendwann gelang ihm die Flucht. Er habe überlegt, seine Heimat zu verlassen, sagt Rocky zum Abschied. Aber er blieb. Der Blick in sein vernarbtes Gesicht reicht, um zu verstehen: Seine Mission ist das Erinneren an die Vergangenheit.
Im Gegensatz zu Brooklyn von den PeacePlayers. Sie hat die Zukunft im Blick. Etwa den Brexit.  „Ich habe an meiner Schule in einem Theaterstück mitgespielt, in dem es um dieses Thema ging.“ Aber Brooklyn bleibt zuversichtlich„Wir sind jung und wissen nicht, was kommt. Wir wollen zusammenhalten, egal, was passiert“, sagt sie.