Keine teure Medizin mehr für Hundertjährige? Der CDU-Gesundheitspolitiker Streeck polarisiert. Die Bundesregierung distanziert sich.
Die Bundesregierung hat Äußerungen ihres Drogenbeauftragten Hendrik Streeck (CDU) zurückgewiesen, hochbetagten Menschen unter Umständen bestimmte teure Medikamente nicht mehr zu verabreichen. Der stellvertretende Regierungssprecher Steffen Meyer sagte am Freitag in Berlin, es sei legitim, wenn Streeck eigene Vorschläge mache. Aber er müsse sich auch der Verantwortung seines Amtes bewusst sein. Es wäre ratsam, bestimmte Themen zunächst vernünftig vorzubereiten.
Meyer betonte, die Äußerungen des CDU-Politikers seien nicht die Position der Bundesregierung oder des Bundesgesundheitsministeriums. Eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums erklärte: “Im Ministerium wird diese Zielrichtung nicht verfolgt.”
Streecks Äußerungen in der Talksendung “Meinungsfreiheit” des Senders Welt TV hatten am Donnerstag für Empörung gesorgt. Ex-Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nannte laut “Tagesspiegel” eine Altersrationierung teurer Medikamente “ethisch unhaltbar und unnötig”. Empört reagierte auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz. “Jeder hat den gesetzlichen Anspruch auf eine bestmögliche Medikamentenversorgung. Ob das eine maximale oder palliative Therapie ist, hängt dabei sowohl vom Angebot als auch dem Willen des Patienten ab. Kosten und Alter dürfen keine Ausschlusskriterien sein”, sagte Vorstand Eugen Brysch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Anstatt sozialen Unfrieden zu stiften, solle sich der Beauftragte auf seine Kernaufgaben der Drogenbekämpfung konzentrieren, fügte Brysch hinzu.
Streeck hatte hinterfragt, ob sehr alte Menschen sehr teure Medikamente erhalten sollten. Es brauche in der medizinischen Selbstverwaltung klarere Richtlinien bei der Vergabe von Medikamenten mit Blick auf allgemeine Gesundheitskosten. “Es gibt einfach Phasen im Leben, wo man bestimmte Medikamente auch nicht mehr einfach so benutzen sollte”, so Streeck. Dabei verwies der Mediziner beispielhaft auf eine teure Krebstherapie bei einer 100-Jährigen und auf Erfahrungen, die er in der letzten Lebensphase seines Vaters gemacht habe.
Auch die Linke reagierte empört. “Solche Gedankenspiele von einem CDU-Gesundheitspolitiker sind nur noch beschämend”, sagte der Vorsitzende der Linksfraktion, Sören Pellmann, der “Rheinischen Post” (Freitag). “Diese Debatte zu eröffnen, sägt weiter am gesellschaftlichen Zusammenhalt. Streeck muss seinen Vorstoß mal ausbuchstabieren: Ab welchem Alter soll denn ein Leben aus seiner Sicht nicht mehr schützenswert sein – ab 85, 90, 95?”
Pellmann kritisierte, dass arme Menschen im Schnitt ohnehin deutlich früher als wohlhabende Menschen sterben. “Und jetzt sollen ihnen auch noch lebensverlängernde Therapien verweigert werden?”, so der Fraktionsvorsitzende. Aus seiner Sicht wäre es sinnvoller, “die Preise neuer Arzneimittel zu begrenzen, die in den vergangenen Jahren weiter explodiert sind”. Pellmann bemängelte: “Die Pharmaindustrie darf weiter unbehelligt Riesenrenditen einfahren und wird – auf Betreiben der Union – beim aktuellen Sparpaket nicht zur Stabilisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung herangezogen.”