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Bundeskunsthalle blickt auf das Werk von Filmemacher Wim Wenders

Wim Wenders gehört zum intellektuellen Inventar des deutschen und europäischen Kinos. Am 14. August wird er 80 Jahre alt. Und erhält als Geschenk eine sehenswerte Ausstellung.

Plötzlich betritt er das Podium. Wim Wenders, Ikone des europäischen Autorenfilms. Ganz in schwarz, von den Sneakern bis hin zur markanten Brille. Lässig und unaufgeregt – als gehöre das hier zum Alltag. Dabei, das räumt er dann doch am Mittwoch ein, sei es schon etwas Besonderes, zum 80. Geburtstag eine Ausstellung über das eigene Werk zu eröffnen. “Ein großes Geschenk” nennt der Filmemacher die Schau, die ab Freitag und bis zum 11. Januar 2026 in der Bonner Bundeskunsthalle zu sehen ist.

“W.I.M. – Die Kunst des Sehens” lädt ein zu einer Zeitreise durch Film und Gesellschaft von der Nachkriegszeit bis heute. Zu sehen sind nicht nur Filmausschnitte, sondern auch frühe Collagen und Zeichnungen sowie Requisiten, Filmplakate und Kostüme. In einem separaten Raum mit mehreren großen Bildschirmen können Besucher in das Universum von Wim Wenders eintauchen.

Ganz am Anfang des Rundgangs steht ein ikonisches Bild. Eine Schwarz-Weiß-Aufnahme des Schweizer Schauspielers Bruno Ganz als Engel Damiel in “Der Himmel über Berlin”. Das Fantasy-Drama aus dem Jahr 1987 zählt zu Wenders bekanntesten Werken. Seinen weltweiten Durchbruch feierte er 1984 mit dem Roadmovie “Paris, Texas”, in dem Harry Dean Stanton und Nastassja Kinski die Hauptrollen übernahmen.

Es folgten Dokus wie “Buena Vista Social Club” (1999) über eine Gruppe Altmeister kubanischer Musik oder “Ein Mann seines Wortes” über Papst Franziskus (2018). Im vergangenen Jahr erst wurde das Drama “Perfect Days” mit Koji Yakusho in der Rolle eines Toilettenreinigers in Tokio für einen Oscar nominiert und als bester Film im asiatisch-pazifischen Raum gefeiert. Wenders ist also weiter aktiv – und aus dieser Perspektive betrachtet eigentlich kein Fall fürs Museum.

Den Ausstellungsmachern gelingt es gleichwohl, das vielschichtige Werk eines Künstlers auszuleuchten, “der das Sehen neu erfunden hat” – und der als Reisender die Welt und die Menschen immer wieder neu entdeckt. W.I.M. gleich “Wim in Motion”. Von Amerika bis Japan, von Künstlern wie dem kürzlich verstorbenen Fotografen Sebastiao Salgado bis hin zu Tote Hosen-Frontmann Campino. Ebenso grandiose wie großformatige Fotoarbeiten ziehen die Betrachter in ihren Bann. Und dann gibt es da die vielen kleinen Fundstücke, die das Team der Bundeskunsthalle gemeinsam mit Expertinnen und Experten des DFF-Deutsches Filminstitut & Filmmuseum und in Zusammenarbeit mit der Wim-Wenders-Stiftung sowie Wenders Images zutage gefördert hat.

Manches habe er nach 50 oder 60 Jahren zum ersten Mal wiedergesehen, sagt Wenders. Möglicherweise bezieht sich das auf die in Bonn zu sehenden Zeichnungen aus seiner Jugendzeit. Ursprünglich wollte der Filmemacher schließlich Maler werden. Nicht dazugehören dürften Teile seiner Schallplattensammlung, die ebenfalls in der Bundeskunsthalle zu sehen sind. Die LP-Cover stehen stellvertretend für den hohen Stellenwert der Musik in Wenders Werk. Bluessänger J.B. Lenoir zupft an der Gitarre, die Kinks blicken als Urväter des Punk von der Wand herab.

Ein berührendes Stück Kino- und Politgeschichte wird am Ende der Schau präsentiert. Anfang der 1990er-Jahre fragte Wenders bei Ex-Bundeskanzler Willy Brandt an, ob der SPD-Politiker in seinem Film “In weiter Ferne, so nah!” eine Mini-Rolle übernehmen wolle. “Ich bin auf meine alten Tage kein Kinogänger mehr”, antwortete Brandt am 12. Februar 1992, fügte jedoch hinzu: “Über meine Mitwirkung an Ihrem neuen Projekt sollten wir wohl ein Wort wechseln.” Brandts Erkrankung und sein Tod im Oktober desselben Jahres verhinderten jedoch, dass sich die Pläne realisieren ließen. Stattdessen übernahm der letzte Sowjetherrscher Michail Gorbatschow Brandts Part.

Was ihn dazu antreibe, immer wieder aufzubrechen, wird Wim Wenders in Bonn gefragt. Der Filmemacher verweist auf sein Geburtsdatum, den 14. August 1945. Der Zweite Weltkrieg sei gerade zu Ende gegangen. “Ich bin in Ruinen aufgewachsen”, sagt er. Durch Zeitungsausschnitte und Lexikonartikel habe er erfahren, dass die Welt nicht überall so aussehe, wie in seiner Heimatstadt Düsseldorf. Und das habe er sich anschauen wollen. Für einen Moment senkt sich Stille über den Saal.