Buhrow: Medien setzen zu sehr auf Aufmerksamkeit durch Polarisierung
WDR-Intendant Tom Buhrow hat vor einer „inzwischen extremen Fokussierung“ der Medien auf Aufmerksamkeit durch Polarisierung gewarnt. „Der Journalismus muss dem Druck in den sozialen Medien standhalten“, forderte der WDR-Intendant beim ersten „b future Festival für Journalismus und konstruktiven Dialog“ am Samstag in Bonn. Zugleich warb er für einen Meinungsjournalismus. Er sei wichtig für die Akzeptanz der Medien, müsse aber „sehr deutlich erkennbar und getrennt bleiben von der Berichterstattung“.
Ellen Heinrichs, Gründerin und Geschäftsführerin des Bonn Institute, das das Festival organisiert hat, das künftig jährlich stattfinden soll, forderte, die Ausbildung im Journalismus weiterzuentwickeln. „Wir haben gelernt, zu vereinfachen und verschiedene Positionen darzustellen, aber zu wenig auf Lösungen zu schauen“, beklagte Heinrichs. In sich rasch ändernden und hochkomplexen Zeiten, angesichts von Krieg und Klimawandel, sei es besonders wichtig, so zu berichten, „dass Journalismus auch ankommt“. Nur dann könne man Hassrede, Falschnachrichten und Polarisierungen etwas entgegensetzen.
NRW-Medienminister Nathanael Liminski (CDU) sieht ein „großes Glaubwürdigkeitsproblem“ der Medien. Mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland sähen die Medien inzwischen skeptisch, wenn nicht sogar ablehnend. „Das ist alarmierend“, erklärte der Chef der Staatskanzlei NRW. Er wünschte sich mehr Meinungsvielfalt, auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. „Dass Leute sich möglichst viel aufregen, darf kein Ziel im Journalismus sein.“
Die Kommunikationswissenschaftlerin Nayla Fawzi von der Universität Mainz wies darauf hin, dass die „Filterblasen“ der Meinungsbildung am rechten Rand der Gesellschaft gar nicht so abgeschlossen seien, wie man denke. Die klassischen Medien sollten zeigen, dass sie Anliegen der Menschen ernsthaft wahrnehmen und aufgreifen. Dann werde auch das Vertrauen in die Medien wieder wachsen.
Der Chefredakteur des „Bonner General-Anzeigers“, Helge Matthiesen, verwahrte sich gegen die Erwartung, „dass wir Medien der Reparaturbetrieb der Gesellschaft sind“. Das sei Aufgabe von Parteien, Gewerkschaften, Verbänden sowie Kirchen. Medien könnten aber eine Plattform für den konstruktiven Dialog bieten. Im Lokaljournalismus habe man damit gute Erfahrungen gemacht.
Einig waren sich alle, dass fremde Positionen nicht zur Abwehr, sondern zum Nachdenken führen sollten. „In meiner großen WhatsApp-Familiengruppe lerne ich als einziger Christdemokrat und Politiker unterschiedlichste Positionen auszuhalten und die Menschen trotzdem liebzubehalten“, sagte Minister Liminski. „Durch die in Deutschland ausgeprägte Sehnsucht nach Harmonie haben wir aber ein Problem mit Kontroversen“, so der Eindruck von Tom Buhrow. Sein Wunsch und Tipp daher: „Mehr Mut zum Perspektivwechsel.“
Das zweitägige Festival in Bonn lud am Freitag und Samstag zu zahlreichen auch öffentlichen Veranstaltungen an verschiedenen Orten in der Innenstadt ein. Das breite Themenspektrum reichte von Berichterstattung über Klimawandel, Stadtplanung bis Fake News und Künstliche Intelligenz. Auch ein Kinderworkshop „Frag die Maus: Stimmt’s oder stimmt’s nicht“ über Falschmeldungen und wie man sie entlarven kann, war im Angebot. Mitwirkende bei der Premiere waren unter anderem der WDR, die Deutsche Welle, die Rheinische Post Mediengruppe sowie die Bundes- und Landeszentrale für Politische Bildung.