Bischof: Wo Ungeimpfte ausgegrenzt wurden, wurde Kirche schuldig

Nach Ansicht des evangelischen Bischofs Tilman Jeremias (Greifswald) hat die Kirche während der Corona-Zeit auch Schuld auf sich geladen. „Wo Menschen ausgegrenzt und diskriminiert worden sind, weil sie die Corona-Maßnahmen kritisiert oder sich nicht haben impfen lassen, da sind wir als Kirche schuldig geworden“, unter anderem dieses Fazit zog der Bischof im Nordkirchen-Sprengel Mecklenburg und Pommern am Sonnabend in Salem (Landkreis Mecklenburgische Seenplatte) bei einem Erfahrungsaustausch unter dem Motto „Kirche und Corona – was bleibt?“, an dem fast 100 Menschen aus evangelischen Gemeinden Mecklenburg-Vorpommerns teilnahmen.

Der Streit über die Maßnahmen und die Impfung habe durch viele Familien im Osten einen Riss gehen lassen und auch die Kirche vor eine Zerreißprobe gestellt, erklärte Jeremias als Gastgeber. Bei vielen seien tiefe Verletzungen entstanden, „und das kann uns als Kirche nicht egal sein“. Die Kirche sei auch kein Gesinnungsverein, in dem alle die gleichen Ansichten haben müssten.

Pastor Michael Giebel aus Altentreptow bei Neubrandenburg sagte, ihm sei es gelungen, seine Gemeinde trotz unterschiedlicher Positionen zum Umgang mit Corona zusammen zu halten und der Zeit positive Erfahrungen abzugewinnen. Aber auch seine „Tiefpunkte“ benannte er: „Ungeimpfte wurden als Verräter an der Nächstenliebe gebrandmarkt“, beschrieb er mit ruhiger Stimme. Man habe sie als verantwortungslos hingestellt, auch wenn sie vielleicht vorsichtiger agierten als Geimpfte, die das Virus ebenfalls verbreiten konnten.

„Und man hat sie pauschal in die rechte Ecke geschoben“, sagte Giebel. Wer etwa gegen die geplante Impfpflicht demonstrieren wollte, habe schnell im Verdacht gestanden, sich den „Rechten“ anzuschließen. Ähnliche Kritik äußerte die Ribnitzer Pastorin Susanne Attula: „Die Freiheit, mich für oder wider etwas zu entscheiden, gehört zur Würde des Menschen“, argumentierte sie.

Weitere Punkte kamen in der eineinhalbstündigen, friedlich geführten Debatte zur Sprache: Kirche habe zugelassen, dass Schwerstkranke und Alte allein sterben mussten, weil Corona-Maßnahmen selbst auf Palliativstationen und im Hospiz durchgezogen wurden. „Warum habt Ihr dazu geschwiegen?“, fragte der Krankenhausseelsorger Leif Rother, der in fünf Krankenhäusern der Müritzregion arbeitet. Andere erinnerten daran, dass kirchliche Vertreter die Notwendigkeit der Seelsorge in der Corona-Zeit durchaus zur Sprache gebracht und unbürokratische Lösungen gefunden hätten.

Rother kritisierte zudem: Elementare Persönlichkeitsrechte der Menschen seien verletzt worden, und die Kirche habe anders als zu Zeiten der friedlichen Revolution keine Räume geboten, um sachliche Argumente breit zu diskutieren. Karl-Georg Ohse, Leiter des Projekts „Kirche stärkt Demokratie“, hielt dagegen: Zumindest einzelne Debatten-Angebote im Raum der Kirche habe es gegeben, etwa ein Online-Forum seines Projekts und das Nikolai-Quartett in Rostock. „Gerade von Seiten der Corona-Skeptiker kamen beim Quartett aber die immer selben demokratiefeindlichen Parolen.“

Auch Dilemmata der Leitenden wurden in der Austauchschrunde deutlich. Etwa, Entscheidungen treffen zu müssen, die den einen recht zu geben scheinen – während man einzelne Argumente anderer vielleicht teilt. „Eine eigene Meinung zu haben, heißt auch nicht, dass ich sie in einer Leitungsfunktion zur allgemeinen Maxime machen kann“, erklärte Wulf Schünemann, der zu Corona-Zeiten als Propst im Dienst war.