Ehemalige Bundespolitiker und Dutzende Experten dringen auf eine umfassende Staatsreform. Ihr Appell: Alle gemeinsam müssen an einem Strang ziehen. Die Vorlage im Koalitionsvertrag sei gut.
Deutschland steckt aus Sicht einer hochkarätig besetzten Initiative in einer strukturellen Krise und ist dringend reformbedürftig – von der Verwaltung bis zur Arbeit der Nachrichtendienste. Viele nötige Schritte stünden im Koalitionsvertrag, nun gehe es um die Umsetzung, appellierte die Initiative für einen handlungsfähigen Staat bei der Übergabe ihres Abschlussberichts an Schirmherr und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Montag in Berlin.
Bundeskanzler und Vizekanzler müssten die Reformen energisch und ressortübergreifend vorantreiben, Bund und Länder an einem Strang ziehen, hieß es. Auch die Parteien müssten sich von innen heraus erneuern. Ein Digitalministerium allein reiche nicht, auch wenn dies eine umgesetzte Forderung aus dem Zwischenbericht der Initiative sei.
Steinmeier nutzte die Übergabe, um den Ball zur Politik zu spielen. “Es ist eine Staffelübergabe von der Expertise zur praktischen Umsetzung”, sagte er. Jetzt seien die gewählten Politiker an der Reihe. “Bitte übernehmen Sie”, so Steinmeiers Appell. Der Staat sei keineswegs reformunfähig. Aber wenn die Menschen den Eindruck erhielten, der Staat und seine Institutionen erfüllten ihre Versprechen nicht, erodiere politisches Vertrauen in die demokratische Ordnung.
Bundesdigitalminister Karsten Wildberger (CDU) versprach, die Reformvorschläge aufzugreifen. Es brauche nicht nur einen handlungsfähigen, sondern auch einen handlungswilligen Staat. Konkret nannte er das Bündeln von Aufgaben, eine Lockerung beim Dienstrecht, um den Seiteneinstieg zu ermöglichen, eine bessere Gesetzgebung und Bürokratieabbau. “Gute Gesetze müssen in der Praxis funktionieren”, betonte Wildberger und fügte hinzu: “Ein funktionierender Staat ist ein demokratisches Versprechen.” Digitalisierung ist ein Schwerpunkt des Berichts. Empfohlen werden etwa Modellvorhaben, um die Modernisierung der Verwaltung zu erproben.
Hinter der Initiative stehen die beiden ehemaligen Bundesminister Thomas de Maizière (CDU) und Peer Steinbrück (SPD), die Medienmanagerin Julia Jäkel sowie der Ex-Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle. Gemeinsam mit rund 50 Experten erarbeiteten sie 35 Reformvorschläge in sieben Bereichen, etwa zu Gesetzgebung, Sozialem und Bildung.
“Deutschland befindet sich in einer strukturellen Krise”, erinnerte Voßkuhle. Das Land sei nicht wirklich verteidigungsfähig, die Infrastruktur sei marode, Bund und Länder seien verhakt, dem Klimawandel werde nicht richtig begegnet, die Digitalisierung wurde verschleppt.
Zentral für die Handlungsfähigkeit des Staates sei außerdem, “dem demokratiegefährdenden Einfluss sozialer Medien entgegenzuwirken”, so der Appell. Diese hätten eine große politische Macht erworben: “Machtausübung braucht aber Kontrolle und Ordnung.”
Die Vorschläge des Berichts reichen von weniger und wirksameren Gesetzen über den Abbau von Bürokratie hin zu einer Entwirrung der Bund-Länder-Kompetenzen, etwa bei der Bildung. Ebenfalls müsse der Sozialstaat effektiver und effizienter werden. Bei der Migration sollte der Bund für Abschiebungen, die Länder für Integration zuständig sein. Zugleich müsse die Einwanderung von Fachkräften vereinfacht und beschleunigt werden.