Beethovens Sinfonie Nummer neun feiert 200. Geburtstag

Beethovens Neunte ist eines der meistgespielten Klassik-Werke weltweit, erst recht im Jubiläumsjahr. Zum 200. Jahrestag soll das Uraufführungskonzert wieder aufleben – statt in Wien in der Historischen Stadthalle Wuppertal.

Beinahe hätte Beethoven seinen eigenen Triumph verpasst. Denn als das Publikum nach der Uraufführung der neunten Sinfonie jubelte, blickte er in Richtung Bühne. Erst die Sängerin Caroline Unger drehte ihn zum Saal um: Der seit langem taub gewordene Meister verbeugte sich freudig.

Ob die Geschichte wahr ist oder nicht: Die 9. Sinfonie in d-Moll op. 125 von Ludwig van Beethoven (1770-1827) ist längst selbst Legende. In seiner letzten vollendeten Sinfonie setzte der Komponist im Finale, der überaus eingängigen “Ode an die Freude”, erstmals zusätzlich zum Orchester Singstimmen ein.

200 Jahre nach ihrer Uraufführung am 7. Mai 1824 hat sie ihren Ruf als weltumspannende Hymne der Humanität verfestigt – ob in der von Leonard Bernstein nach dem Mauerfall umgedichteten Version “Freiheit, schöner Götterfunken” oder als Friedensmanifest in der Ukraine oder anderen vom Krieg heimgesuchten Regionen.

Die von Herbert von Karajan gesetzte Instrumentalversion der “Freude”-Melodie” ist seit 1972 Hymne des Europarates, seit 1985 auch der Europäischen Gemeinschaft bzw. der Europäischen Union, weil sie für “Einheit in Vielfalt” stehe. Seit 2001 ist die Originalhandschrift der Neunten im Unesco-Weltdokumentenerbe – vor allem wegen ihrer “völkerverbindenden Idee”.

Die Neunte ist Meilenstein und Maßstab: Angeblich orientiert sich die Länge der Ende der 70er Jahre erfundenen Compact-Disc an ihrer ungewöhnlichen Aufführungsdauer von rund 70 Minuten – damit das Opus magnum ohne Unterbrechung genossen werden kann.

Komponiert hat der von vielen Schicksalsschlägen heimgesuchte Beethoven die Neunte ab 1821 im Auftrag der Londoner Philharmonic Society. Erst Ende 1823 entschied er, im vierten Satz Gesang einzusetzen. Das Gedicht “An die Freude” (1785) von Friedrich Schiller (1759-1805) hatte ihn schon in seiner Jugend in Bonn fasziniert. Sein Leben lang war Beethoven von der Vision bewegt, “dass alle Menschen zu Geschwistern werden”.

Uraufgeführt wurde das Mammutwerk am 7. Mai 1824 im Wiener Theater am Kärntnertor, das heute nicht mehr existiert. Die “Große musikalische Akademie” begann mit der Ouvertüre “Die Weihe des Hauses” op. 124, gefolgt von Kyrie, Credo und Agnus Dei aus der “Missa solemnis” op. 123, die Beethoven für sein bestes Oeuvre hielt. Für die Aufführung dieses geistlichen Werks in weltlicher Umgebung musste der Erzbischof die Erlaubnis erteilen, und die Stücke durften nicht als Messteile, sondern nur als “Hymnen” angekündigt werden.

Die Neunte am Ende des vermutlich gut zweistündigen Konzerts wurde mit frenetischem Beifall gefeiert, auch wenn die Kritik gespalten war. Manche hielten den Einsatz menschlicher Stimmen in einer Sinfonie für irrig; andere kritisierten die Qualität der Aufführung. Kein Wunder: Das Theater hatte zwei Gesamtproben genehmigt – viel zu wenige für das komplexe Programm.

200 Jahre später kann von mangelnder Vorbereitung keine Rede sein. Im Gegenteil: Seit Jahren zieht das Bonner Beethoven-Haus in Zusammenarbeit mit dem Originalklang-Orchester Wiener Akademie unter Leitung von Martin Haselböck sowie der Wiener Professorin für Historische Musikwissenschaft, Birgit Lodes, alle Register mit Blick auf das Jubiläum. Denn in zwei Festkonzerten soll die Aufführung von 1824 genau rekonstruiert werden.

Als Ersatz für das Theater am Kärntnertor dient die Historische Stadthalle Wuppertal – unterschätzt, aber akustisch und atmosphärisch ideal, wie es heißt. Dort soll am 7. und 8. Mai exakt dasselbe Programm wie 1824 ertönen, mit Originalinstrumenten und derselben Anordnung wie damals. Eine Besonderheit etwa: Der Chor stand nicht hinter dem Orchester, sondern vor der Bühne, auf Ebene des Publikums.

Zudem umfasst das vom Museum in Beethovens Bonner Geburtshaus organisierte Jubiläumsprogramm eine internationale Tagung, eine Ausstellung über Leonard Bernstein und ein Kammermusikfest. Thema: Das Scheitern der in der Neunten angelegten Utopien in Zeiten von Extremismus und Krieg. Aufgrund der Rolle, die die Sinfonie in Europas Geistesgeschichte spielt, wollen die Veranstalter einen Appell zur Identifikation mit der europäischen Idee setzen, so der Leiter des Beethoven-Hauses, Malte Boecker.

Schon Beethoven dürfte mit dem Konzertprogramm den politischen Aspekt im Auge gehabt haben, meint die Musikwissenschaftlerin Birgit Lodes. Denn gewidmet hatte er die drei Werke dem russischen Fürsten Nikolaus von Galitzin (“Weihe des Hauses”), Erzherzog Rudolph von Österreich (“Missa”) und König Friedrich Wilhelm III. von Preußen (Neunte). Demnach wollte der Meister an die Heilige Allianz, also das Bündnis der Monarchen von Russland, Preußen und Österreich, “als Garant des Ewigen Friedens appellieren”, so die Professorin. “Genau 200 Jahre später ist dieser Appell aktueller denn je.”

Beethoven legte noch Fragmente einer zehnten Sinfonie vor, die jedoch unvollendet blieb. “Ich hoffe noch einige große Werke zur Welt zu bringen, u. dann wie ein altes Kind irgendwo unter guten Menschen meine irdische Laufbahn zu beschließen”, schrieb er Ende 1826 an den Bonner Jugendfreund Franz Gerhard Wegeler. Am 26. März 1827 starb Beethoven in Wien mit 56 Jahren. Seine “Neunte” hat heute einen einzigartigen Platz in der Musikgeschichte.