Auf der Suche nach Perfektion

Eine Orgel für einen schottischen Privatmann ist hier ebenso schon entstanden wie die Orgeln für das Chinesische Nationaltheater in Peking und jüngst für die Elbphilharmonie in Hamburg: Die Orgelbau-Werkstatt Klais erhält Aufträge aus aller Welt

Martin Egbert

Unternehmensgründer Johannes Klais hatte den Orgelbau im Elsass, in der Schweiz und in Süddeutschland erlernt, bevor er 1882 seine eigene kleine Werkstatt in Bonn gründete. Wenige Jahre später baute er nur wenige hundert Meter vom Geburtshaus Ludwig van Beethovens entfernt einen weitläufigen Backsteinkomplex, in dem bis heute sowohl der Betrieb als auch das Wohnhaus der Inhaberfamilie beheimatet sind.
Um den Innenhof herum gruppieren sich die Gebäudeteile, in denen Instrumente von Weltrang entstehen: die Pfeifenwerkstatt, die Spieltischwerkstatt, der Montagesaal. Und natürlich die Windladen- und die Gehäuseschreinerei, in denen fast ausschließlich mit Holz gearbeitet wird und die stellenweise wie klassische Tischlerwerkstätten anmuten. „Ungefähr 70 Prozent der Arbeit beim Orgelbau hat mit Holz zu tun“, sagt Philipp Klais, Urenkel des Gründers und seit 1995 Chef im Haus. „Das ist ein fantastischer Werkstoff.“ So werden zum Beispiel die Windladen, die den Orgelwind auf die einzelnen Pfeifen verteilen, und die Gehäuse des Instruments aus Holz gebaut. Und auch die Orgelpfeifen bestehen nicht nur aus den gängigen Zinn-Blei-Legierungen, die man häufig in Kirchen und Konzertsälen zu sehen bekommt.
Beim Herzstück der Hamburger Elbphilharmonie zum Beispiel, die vor einem Jahr eröffnet wurde, sind 380 der insgesamt 4765 Pfeifen aus Holz gefertigt. Eine von Klais‘ Eigenheiten ist es, dass die Bäume für seine Orgeln grundsätzlich nur bei abnehmendem Mond gefällt werden dürfen. Schließlich ist es nicht auszuschließen, dass dieses Mondholz tatsächlich – wie in mancher Überlieferung berichtet – besonders positive Eigenschaften wie geringe Feuchtigkeit und Widerstandsfähigkeit gegen Schädlinge besitzt.

Schon als Kind hat er den Umgang mit Tönen gelernt

Daniela Beiersdörfer, Orgelbauerin und Ingenieurin für Holztechnik, ist eine von 60 Angestellten im Unternehmen – und eine der wenigen Frauen in dem traditionellen Handwerksbetrieb. Mit ihrer Doppelausbildung kann die 30-Jährige die Instrumente nicht nur bauen, sondern auch planen und konstruieren. Man müsse nicht zwingend musikalisch sein, um ein guter Orgelbauer zu sein, sagt sie. „Es spielen bestimmt 70 Prozent der Lehrlinge hier ein Instrument, aber letztlich ist das ein Handwerk. Und das Hören kann man lernen.“
Ihr Chef Philipp Klais hat das Hören schon als Kind gelernt. Zusammen mit seinen beiden Schwestern ging er täglich in den unterschiedlichen Werkstätten des Betriebs ein und aus. „Für mich ist der Umgang mit Tönen das, was für den Maler der Umgang mit Farben ist“, erzählt der 50-Jährige. Obwohl er ursprünglich „alles andere als Orgelbauer“ werden wollte, weil ihm die Fußstapfen seiner Vorfahren zu groß erschienen, hört man ihm heute die Begeisterung für seine Arbeit schon nach wenigen Sätzen an. „Ich darf in den schönsten Räumen der Welt mit vielen tollen Menschen arbeiten und ich darf etwas bauen, was Musik macht und außerdem noch eine Skulptur im Raum ist“, sagt er mit strahlenden Augen.
Rund die Hälfte des Jahres ist er dafür in aller Welt unterwegs. Gestresst wirkt er nicht: „Das ist alles so erfüllend und bereichernd, das bereitet mir viel Freude.“ Als Orgelbauer braucht er Kenntnisse aus vielen unterschiedlichen Bereichen – unter anderem aus Handwerk, Holz- und Metallkunde, Physik, Akustik, Architektur, Statik, Mechanik, Elektronik, Musik und Ingenieurswesen. „Das Ganze verknüpfen wir dann mit den Wünschen von Menschen. Das macht den Orgelbau aus.“
Vier bis fünf Orgeln produziert die Bonner Werkstatt jedes Jahr, rund zwei bis drei Jahre vergehen üblicherweise vom Auftrag bis zur Fertigstellung. Bei Großprojekten wie der Elbphilharmonie können es auch schon einmal zehn Jahre sein. Doch egal wie prestigeträchtig oder vermeintlich unspektakulär ein Auftrag ist: Eine persönliche Bindung hat Klais zu allen Instrumenten, die bei ihm entstehen. „Das meiste Herzblut fließt immer in die Orgel, an der man gerade arbeitet“, sagt er. „Letztlich geht es darum, der beste Künstler zu sein, der die gestellte Aufgabe bewältigen kann.“ Immerhin hat eine Orgel eine Lebensdauer von bis zu mehreren hundert Jahren.
Das Eröffnungskonzert in der Hamburger „Elphi“, das im Januar 2017 von Kritikern rund um den Globus gefeiert wurde, hat er miterlebt. Genießen konnte er es nicht. „Das war natürlich schon beeindruckend, aber wenn irgendwo eine neue Orgel von uns steht, kann ich die ersten fünf Jahre nicht entspannt in ein Konzert gehen.“ Er sei dann permanent in Sorge, dass irgendetwas nicht passen könnte. Er sei auch nicht froh, wenn ein Instrument fertig sei und ausgeliefert werde. „Im Gegenteil, ich bin traurig, ich mag Projekte nie beenden. Es gibt immer Dinge, die man noch optimaler lösen könnte.“

Drei Viertel aller Aufträge aus dem Raum der Kirchen

Philipp Klais ist Perfektionist. So kann es schon vorkommen, dass er für Blasebalg und Ventile einer Orgel in Australien Wallaby-Leder nutzt – weil das kleine Känguru bestens an die trockene Luft Down Under angepasst ist und seine Haut im dortigen Klima langlebiger sein dürfte als das hierzulande gängige Schafs- oder Ziegenleder. Im Großen und Ganzen ist der 50-Jährige nicht sehr experimentierfreudig, was neue Werkstoffe und Arbeitsweisen angeht: Das Traditionelle hat sich über einen langen Zeitraum bewährt.
Übrigens stammen noch immer drei Viertel aller Neubauaufträge aus dem kirchlichen Raum. Das übrige Viertel sind Instrumente für Konzertsäle, vereinzelt auch für Privatleute. „Die Auseinandersetzung mit Musik ist ein wichtiger Baustein unseres Lebens und unserer Kultur“, ist Klais überzeugt.
Viele Menschen hätten jedoch in der Kirche Sorge, dass sie nicht singen könnten: Der Kirchenmusiker und seine Orgel stellten die Basis dar, gemeinschaftliches Singen zu ermöglichen und die Scheu zu überwinden. „Wenn man sich dann wagt, ist es so schön, dass sich die Nackenhaare aufstellen“, schwärmt er. „Dafür sind wir letztlich Orgelbauer – für genau diese Momente.“