Auf den Spuren einer Seuche

Die Geschichte der Pest ist noch lange nicht auserzählt. Immer wieder gewinnen Forscher neue Erkenntnisse über die schlimmste Seuche der Menschheitsgeschichte.

Die Pest in einer antiken Stadt, Holland, circa 1650-1652,, Gemälde von Michael Sweerts
Die Pest in einer antiken Stadt, Holland, circa 1650-1652,, Gemälde von Michael SweertsImago / H. Tschanz-Hofmann

Über Jahrtausende hat die Pest Angst und Schrecken verbreitet, Millionen von Todesopfern gefordert und das Denken und Handeln der Menschheit verändert. Doch immer noch ist die Geschichte dieser Seuche nicht auserzählt. Immer noch lüftet die Wissenschaft neue Geheimnisse. Seit der Corona-Pandemie wird die Pest in einem neuen Licht betrachtet.

Jetzt hat ein Forschungsteam der Uni Kiel und des Max-Planck-Instituts für Evolutionsbiologie in Plön neue Erkenntnisse über genetische Faktoren veröffentlicht, die zum Verständnis der Entstehung der modernen Pestpandemie im 19. Jahrhundert beitragen, wie beide Einrichtungen am Mittwoch mitteilten.

Ursprünge der Pest gehen in die Jungstein zurück

Die Ursprünge der Pest gehen bis in die Jungsteinzeit zurück, die ältesten Funde des Pesterregers Yersinia pestis stammen aus 5.000 Jahre alten menschlichen Knochen. Großen Schrecken verbreitete insbesondere die spätantike justinianische Pest ab dem 6. Jahrhundert nach Christus und der „Schwarze Tod“ im 14. Jahrhundert. Der Ausbruch zwischen 1347 und 1352 löschte in Teilen Europas Schätzungen zufolge bis zur Hälfte der Bevölkerung aus.

Gab es dann in der Folgezeit kleinere, regional begrenzte Ausbrüche auf verschiedenen Kontinenten, kam es von der Mitte des 19. bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer dritten Pest-Pandemie: Vor allem Asien und schwerpunktmäßig Indien waren betroffen; doch die Seuche breitete sich in der Folge global aus. Mit rund 15 Millionen gesicherten Todesopfern zählt sie zu den tödlichsten Pandemien der Menschheitsgeschichte.

Forschungsteam aus Kiel und Plön widmen sich Ursachen von Pandemie

Um die Ursachen solcher Pandemien herauszufinden, untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit die genetischen Eigenschaften des Erregers, die für Übertragung, geografische Verbreitung und Krankheitsschwere verantwortlich sind. Denn das Bakterium Yersinia pestis hat sich sowohl durch den Erwerb als auch durch den Verlust von Genen zu zahlreichen verwandten Stämmen entwickelt.

Das Forschungsteam aus Kiel und Plön hat deshalb nach eigenen Angaben altes und modernes Erbgut des Bakteriums aus einer Zeitspanne von der Jungsteinzeit bis zur modernen Pandemie untersucht. So analysierte das Team die Überreste von 42 Verstorbenen, die zwischen dem 11. und 16. Jahrhundert auf zwei dänischen Gemeindefriedhöfen bestattet und offenbar an der Pest gestorben waren. Die Erbinformationen wurden mit anderen bereits bekannten Genomen, auch aus der Neuzeit, verglichen.

Forscherteam untersuchen Bakterien

Das Team entdeckte, dass das Bakterium zwischen dem Mittelalter und der modernen Pandemie des 19. Jahrhunderts ein neues genetisches Element, ein sogenanntes Prophagen, aufgenommen haben muss, das mit der krankmachenden Wirkung des Erregers zusammenhängt. Dieser Prophage produziert ein Protein, das bestimmten Zellgiften aus anderen Krankheitserregern, zum Beispiel dem Cholera-Erreger, stark ähnelt.

„Frühere Forschungen haben gezeigt, dass dem Erreger in seiner frühen Entwicklungsphase die genetische Ausstattung fehlte, die für eine effektive Übertragung durch den Floh erforderlich ist, wie sie für die heutige Beulenpest typisch ist“, sagt die Erstautorin der Arbeit, Joanna Bonczarowska.

Wichtige Erkenntnisse für künftige Pandemien

Warum genau der Prophage für eine verstärkte krankmachende Wirkung sorgte, ist bislang noch nicht im Detail erforscht. Frühere Studien deuten nach Angaben des Forschungsteams aber darauf hin, dass die neue Erbinformation den Austausch schädlicher Stoffe zwischen infizierten Zellen erleichtert und dem Erreger dabei helfen kann, Körpergewebe weit entfernt vom ursprünglichen Infektionsort zu befallen.

Die Forscher betonen, dass ihre Arbeit durchaus Bedeutung für künftige Pandemien haben kann. Eine derartig rasche Veränderung von Yersinia pestis könne auch in der Gegenwart zur weiter bestehenden Pandemie-Gefahr beitragen, warnen sie. „Der Erwerb neuer genetischer Elemente kann zu neuen Symptomen der Infektion führen. Diese irreführenden Krankheitszeichen können die rechtzeitige Diagnose der Pest erschweren und damit die überlebenswichtige schnelle Behandlung verzögern.“ Hinzu komme, dass einige Stämme des Pesterregers bereits Resistenzen gegen verschiedene Antibiotika aufwiesen, was das Gefährdungspotenzial dieser Krankheit weiter erhöht.