Angriffe auf Gedenkorte behindern Erinnerungskultur

Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel sieht die Amadeu Antonio Stiftung in Deutschland eine neue Welle des Antisemitismus. So erschwerten etwa wöchentlich erfolgende Angriffe auf Erinnerungsorte die Arbeit der Gedenkstätten massiv, heißt es in einem am Dienstag in Berlin vorgestellten „Zivilgesellschaftlichen Lagebild Antisemitismus“ der Stiftung.

Der Projektleiter der Bildungs- und Aktionswochen gegen Antisemitismus der Amadeu Antonio Stiftung, Nikolas Lelle, kritisierte bei der Vorstellung des Berichts, Rechtsextreme, die die Erinnerungskultur seit Jahrzehnten angriffen, setzten ihre Attacken „im Windschatten der Verherrlichung des Terrors gegen Israel fort“. Linke und pro-palästinensische Milieus stimmten mit der Forderung „Free Palestine from German guilt“ (auf deutsch: Palästina von deutscher Schuld befreien) ein.

Lelle kritisierte, nach dem Hamas-Terror vom 7. Oktober sei die Solidarität mit Jüdinnen und Juden in weiten Teilen der Gesellschaft erschreckend gering. „Statt einer Welle der Solidarität erfahren Jüdinnen und Juden eine Welle des Hasses“, sagte Lelle.

Diese Milieus eine die Schuldabwehr als kleinster gemeinsamer Nenner. Das sei eine „brandgefährliche Entwicklung“, hieß es unter Anspielung auf pro-palästinensische Demonstrationen.

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte bei der Vorstellung des Berichts, große Teile der Bevölkerung seien der Meinung gewesen, dass sie immun gegen Antisemitismus seien. Deutschland habe sich zu lange auf der Vorstellung ausgeruht „Erinnerungsweltmeister“ zu sein.

Klein wies auf die bundesweite Beschädigung und Zerstörung von Plakaten der Bildungs- und Aktionswochen gegen Antisemitismus hin. Aufgrund der akuten Gefährdungslage würden Veranstaltungen, die nicht ohnehin wegen Sicherheitsbedenken abgesagt seien, gemieden. 85 Jahre nach den Novemberpogromen sei die Bekämpfung des Antisemitismus wichtiger denn je. Dazu gehörten passgenaue Bildungsangebote an Migranten.

Der Terrorangriff der Hamas bedeute eine Zäsur in der Geschichte Israels mit drastischen Auswirkungen auch in Deutschland. Dort seien Häuser mit Davidsternen markiert und Synagogen mit Brandsätzen attackiert worden, hieß es weiter. Zudem seien Forderungen nach einem „Schlussstrich“ lauter geworden. Überdies befeuere Solidarität mit der Hamas auf deutschen Straßen den Antisemitismus.

Die Leiterin der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz, Deborah Hartmann, äußerte sich besorgt über Umdeutungen von Begriffen wie Zivilisationsbruch und die Aktivierung von Opfernarrativen durch Rechtsextreme. Die Erinnerung an die Schoah sei für blinde Flecken etwa bei der Aufarbeitung des Kolonialismus verantwortlich gemacht worden. „Der Erinnerungskultur wurde unterstellt, ein Machtinstrument zur Marginalisierung anderer Stimmen zu sein“, sage die Politikwissenschaftlerin.

Die Sozialpsychologin Beate Küpper verwies auf den in der von ihr mitherausgegebenen Mitte-Studie festgestellten deutlichen Anstieg antisemitischer Einstellungen in Deutschland: „Jüngere Menschen sind inzwischen antisemitischer als ältere.“