Am 3. Oktober soll Deutschland singen
Der Tag der Einheit ist vielen Deutschen ist ziemlich gleichgültig. Das will eine Initiative ändern: mit Gesang. Von der Kirche kommt Unterstützung.
Bonn/Berlin. 30 Jahre deutsche Einheit – eigentlich wäre am 3. Oktober ein Freudenfest angesagt. Doch der Tag hat sich bislang als ein schwieriger Nationalfeiertag erwiesen, nicht nur wegen des manchmal herbstlichen Wetters.
„In den meisten Ortschaften und Städten gibt es bisher keine öffentliche Feiertradition der Bevölkerung. Der 3. Oktober als Nationalfeiertag wird so gerade von der jungen Generation kaum mehr in seiner Bedeutung wahrgenommen“, bemängelt auch eine bundesweite Initiative um den Bundesmusikverband Chor & Orchester und evangelische Musikverbände. Sie ruft Chöre, Gemeinden, Musikgruppen, Bands, Vereine, Musikschulen und Bürger bundesweit auf, am Tag der Deutschen Einheit 75 Jahre Frieden in Europa und 30 Jahre Wiedervereinigung in Deutschland zu feiern – mit gemeinsamem Gesang.
Der Norden macht mit
Auf Marktplätzen in ganz Deutschland soll es am 3. Oktober um 19 Uhr ein offenes Singen geben. Bis zu 250 Orte sollen dabei sein. Auch im ganzen Norden sind Veranstaltungen in Planung, etwa in Hannover, Hamburg oder Schwerin. Die genauen Termine finden sich hier. Nur einige wenige Eckpfeiler des Programms sind festgelegt: Beispielsweise soll es Kerzen geben – als historisches Zeichen in Anlehnung an die Kirchen während der friedlichen Revolution 1989.
Auch sind die ersten zehn Lieder festgelegt. Es beginnt mit „Die Gedanken sind frei“ und „Wind of Change“. Mit dabei sind auch „Nun danket alle Gott“, „Amazing Grace“ und „Von guten Mächten“. Nicht zuletzt hat es das Lied „Hevenu Shalom Alechem“ auf die Liederliste geschafft – als Zeichen gegen Antisemitismus. Sonst sind alle Veranstalter frei, das Event auszubauen. Die Initiative gibt Hilfsmittel wie Liederhefte, Playbacks oder Tipps fürs Spendensammeln.
Gegen Unbehagen und Griesgrämigkeit
Die Veranstalter planen „ein Zeichen der Dankbarkeit und der Hoffnung für die Zukunft des Landes“. Eine positive Botschaft also gegen Unbehagen und Griesgrämigkeit. Das sprichwörtliche „German Jammern“, noch ausstehende Angleichungen von Verhältnissen in Ost und West sowie unterschiedliche Sozialisationen führten zu „einem leider wachsenden Nichtverstehen auf beiden Seiten“. Errungenschaften und Baustellen der letzten 30 Jahre sollten zum Thema gemacht werden.
Die Schirmherrschaft zu der Aktion unter dem Motto „Deutschland singt“ haben Bischof Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), und der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, übernommen. Zum Unterstützerkreis gehören auch der frühere bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein, die thüringische Ex-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht, Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und der katholische Dresdner Bischof Heinrich Timmerevers sowie der Leiter des Katholischen Büros in Berlin, Karl Jüsten.
Wichtiges Zeichen
Bedford-Strohm bezeichnet das gemeinsame Singen am Nationalfeiertag als wichtiges Zeichen „gegen alle Kräfte, die uns als Gesellschaft auseinanderbringen wollen“. Es sei auch ein Zeichen gegen Angst und Gewalt, Rassismus und Antisemitismus. Schuster wünscht sich, dass „von den Singenden ein Signal ausgeht, für ein friedliches Zusammenleben in einem vereinigten Deutschland, ohne Hass, Rassismus und Antisemitismus“.
Unterstützer der Aktion kommen zum Großteil aus der christlichen Szene. Partner sind unter anderem die Stiftung Creative Kirche, die für das Martin-Luther-King-Musical verantwortlich zeichnete, außerdem der CVJM, der Chorverband in der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Evangelische Allianz.
Notfalls auf dem Balkon
Geplant ist auch ein Livestream im Internet: TV-Journalist Tim Niedernolte wird ab 18.45 Uhr vor der Nikolaikirche in Leipzig moderieren. Anschließend werden die zehn Lieder, aufgenommen bei Chorproben, als eine Art Karaoke abgespielt. Dazwischen erzählen Zeitzeugen, wie sie die Wiedervereinigung erlebt haben.
Corona soll kein Hindernis darstellen, auch wenn manche Chöre vom Gesundheitsamt ein Stoppschild gezeigt bekommen haben. „Wir singen zur Not auch vom Balkon und Fenster, falls die Coronakrise am 3. Oktober eine öffentliche Feier auf den Marktplätzen noch nicht ermöglicht“, sagt Projektleiter Bernd Oettinghaus. Er sieht die Aktion als Auftakt zu einem jährlichen Singen am Tag der Deutschen Einheit. (KNA)