Welt-Alzheimertag: Zu Besuch in einer Demenz-WG in Berlin

Wohngemeinschaften für Demenzpatienten sind gefragt – nicht nur im Diakonie-Pflegeverbund Berlin.

Demenz-Wohngemeinschaft in Bochum
Demenz-Wohngemeinschaft in BochumIMAGO / Funke Foto Service

Die Leipziger Straße in Berlin ist eine der verkehrsreichsten und lautesten Straßen Berlins. Schräg gegenüber der Fischerinsel liegen Dutzende von Wohnungen, zu DDR-Zeiten waren es Diplomatenwohnungen. Darunter ist eine 300 Quadratmeter große Wohnung im 5. Stock, eine Wohngemeinschaft namens „Am Gendarmenmarkt“.

Hier leben Singles – bis auf ein Ehepaar, das in einem Doppelzimmer wohnt. Die Wohngemeinschaft ist der Lebensmittelpunkt von acht Bewohnerinnen und Bewohnern mit Demenz. Von der umtriebigen Straße unter ihnen fühlen sie sich nicht gestört, sondern – im Gegenteil – eher angezogen. Wie kommt’s?

Susann Berndt kennt die Antwort. Sie ist Einsatzleiterin ambulant betreuter Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz im Diakonie-Pflegeverbund Berlin und berichtet am Beispiel der Leipziger Straße von Angehörigen, die begeistert waren, weil ihre erkrankte Mutter nun da wohnen kann, wo sie ihr halbes Leben verbracht hat.

Demenz-WG mitten in Berlin

Gern sitzen die Bewohner und Bewohnerinnen oben in der Loggia, die zur Wohnung gehört, schauen auf die gegenüberliegenden Hochhäuser oder links und rechts dahin, wo der Verkehr fließt und Erinnerungen wach werden.

Altes Fotoalbum
Altes FotoalbumCCO /Willfried Wende

Neben der Wohngemeinschaft „Am Gendarmenmarkt“ ist Susann Berndt Koordinatorin der Wohngemeinschaft „Altes Pfarrhaus“ in Berlin-Kreuzberg, wo elf Bewohnerinnen und Bewohner leben. Diakonischen Demenz-WGs gemeinsam ist ein Konzept, das den Bewohnerinnen und Bewohnern ein hohes Maß an Eigenständigkeit und Lebensqualität vermittelt, zugleich jene Professionalität von Betreuung, Versorgung und Pflege, die Menschen benötigen, wenn sie dement sind.

Dazu braucht es rund um die Uhr engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Früh-, Spät- und Nachtdienst. Gibt es ein branchenübliches Kommen und Gehen, eine Fluktuation? „Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir ein stabiles Team haben“, sagt Berndt.

Leben entlang alter Gewohnheiten

Das WG-Konzept für Demente unterscheidet sich deutlich von Pflegeheimen, unter anderem, weil dort der Alltagsrhythmus – Aufstehen, Frühstück, Mittagessen, Abendbrot – durchgetaktet ist. In den WGs sollen die Bewohnerinnen und Bewohner möglichst entlang alter Gewohnheiten und Erfahrungen leben.

Susann Berndt berichtet von Validation (unbedingte Wertschätzung) und Biografiearbeit – zwei Fachbegriffe, die das moderne Begleiten von Demenzerkrankten gut beschreiben. „Wir nehmen den Menschen an, wie er ist. Wenn einer der Meinung ist, dass heute nicht Montag, sondern Mittwoch ist, dann folgen wir ihm oder ihr und korrigieren nicht.“

Pflege-WG in Bochum
Pflege-WG in BochumImago / Funke Foto Service

Und Biografiearbeit? „Damit knüpfen wir in Gesprächen mit den Bewohnerinnen und Bewohnern an Erinnerungen an, folgen Erzählungen, schauen in Fotoalben und Tagebücher.“ Demenzerkrankte genießen es zumeist, mit freundlichen und zugewandten Menschen zu sprechen, zu singen und zu musizieren, Spaziergänge zu unternehmen, in Tanzcafés unter Menschen zu sein.

Plätze in Demenz-WG sind begehrt

Regelmäßig kommen dafür engagierte Freiwillige als Begleiter aus den diakonischen „Haltestellen“ vorbei, die in Berliner Bezirken eingerichtet sind. Auch für eine spirituelle und seelsorgliche Betreuung durch Pfarrpersonen sei gesorgt, sagt Susann Berndt. Wer gern spontan ein Vaterunser in Gemeinschaft beten möchte, darf das.

Dieser liebevolle und fachkundige Umgang hat sich herumgesprochen. Die Nachfrage übersteigt das Angebot an WG-Plätzen. Über Belastungen und Entlastungen, über alte und neue Erfahrungen im Umgang mit dementen Bewohnerinnen und Bewohnern gibt es, unter der Leitung von Susann Berndt, regelmäßige Fortbildungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In diesen Tagen will man endlich wieder in Präsenz zusammenkommen. Während der Coronazeit und danach gab es zumeist Onlinefortbildungen. Aber der unmittelbare Austausch untereinander sei durch keinen Computer zu ersetzen, sagt die Einsatzleiterin.

Info: Welt-Alzheimertag am Donnerstag, 21. September im Brandenburgischen Bad Belzig: Infotag auf dem Markt vor dem Rathaus und Filmvorführung im Hofgartenkino. Von 9 bis 18 Uhr stellen sich soziale Einrichtungen und Dienste aus der Region vor.