75 Jahre Bundespräsident, 75 Jahre First Lady
Sie bewegen sich zwischen diplomatischem Parkett und Kita-Teppichen – die Partnerinnen des Bundespräsidenten. Über ein Amt nah an der Staatsspitze, geprägt von Erwartungen, irgendwo zwischen Zeitgeist und Zeichensetzen.
Zwölf Bundespräsidenten zählt die Bundesrepublik Deutschland, seit vor 75 Jahren Theodor Heuss in Bonn als Erster in dieses Amt gewählt wurde. Und zwölf Frauen standen seitdem ebenso… ja wo eigentlich? Als Ehefrau an der Seite ihres Mannes? Oder als “First Lady” an der Staatsspitze?
“Es gibt keine gesetzlichen Regelungen zur Rolle der Ehepartnerin des Bundespräsidenten. Aber würde man herumfragen, hat jede und jeder wohl ein konkretes Bild vor Augen: Es wird eine Frau erwartet, die an der Seite ihres Mannes steht, die ihn unterstützt in seiner Amtsführung, die sich wohltätig engagiert, die auf roten Teppichen stets gut gekleidet ist und sich keine Fehltritte erlaubt”, sagt Politikwissenschaftlerin Viktoria Hennecke. Sie ist Autorin eines Buchs über Ursprünge und Bedeutung der deutschen First Lady, das im kommenden Jahr erscheint.
Die Rolle der Landesmutter geht zurück in die Zeit der Monarchie und wird durch Erwartungen im Inland ebenso wie durch das internationale Parkett gefestigt. “In der Diplomatie setzt das Protokoll den Rahmen. Der ist auf eine Art gewachsen, so dass es ganz natürlich ist, dass Partnerinnen und Partner der Staatsoberhäupter dabei sind”, erklärt Hennecke. Ist keine Ehepartnerin vorhanden, wird auch schon einmal Ersatz gesucht: Vor fast 75 Jahren übernahm bei Theodor Heuss nach dem Tod seiner Frau Elly Heuss-Knapp ihre Schwägerin die Frauenrolle. Und heute? “Der italienische Präsident Sergio Mattarella ist verwitwet, beim Repräsentieren springt oft seine Tochter ein”, weiß Hennecke.
Die deutschen First Ladies haben viele Aufgaben, sind Schirmherrinnen vieler wohltätiger Organisationen. Ihr soziales Engagement hat eine lange Tradition. Alle First Ladies nutzten die Spielräume, die sich ihnen im Rahmen des traditionellen Bildes einer Partnerschaft – der Mann kümmert sich um Arbeit und Finanzen und die Frau um Haushalt, Kinder, Ehrenamt – ergaben.
Die erste First Lady Elly Heuss-Knapp habe ihre Rolle als “klassische, fürsorgliche Landesmutter” ausgeübt und das Amt damit geprägt, so Hennecke. Heuss-Knapp baute das Müttergenesungswerk auf, mit dem bis heute Menschen, die Sorgearbeit leisten, eine Kur als Auszeit ermöglicht wird. “Sie hat sich zeit ihres Lebens ehrenamtlich im Sozialwesen engagiert und auch gearbeitet. Sie war politisch engagiert. Man kann ihr nicht unterstellen, sie hätte monarchische Traditionen aufleben lassen”, erklärt Hennecke.
Ihre Nachfolgerin Wilhelmine Lübke setzte ihren Fokus auf alte Menschen. Mildred Scheel, selbst Ärztin, begründete die Deutsche Krebshilfe. “Sie sagte mal, dass sie durch die Krebshilfe viel mehr bewirken kann, als in einer Praxis und der Behandlung einzelner Patienten dort”, weiß Hennecke. Mildred Scheel fand so einen Weg, ihre eigenen Vorhaben als Präsidentengattin nicht aus dem Blick zu verlieren. Ihr folgte Veronika Carstens in die Villa Hammerschmidt – ebenfalls Ärztin. Sie habe es geschafft, beide Leben miteinander zu vereinbaren, so Hennecke. “Sie führte ihre Praxis weiter, auch für die 1980er Jahre mit Blick auf Geschlechterrollen noch ungewöhnlich.”
Die Erwartungen an die Damen in ihrer Rolle als Staatsmutter änderten sich aber wenig. “Ab Ende der 70er Jahre war dieses Bild allmählich so etabliert, dass anstatt von Aufgaben von den Pflichten der First Lady gesprochen wurde”, erklärt Hennecke.
Schon länger gibt es öffentliche Kritik daran, dass das Frauenbild an der Staatsspitze antiquiert ist. Dennoch sei bislang der Versuch nicht gelungen, den Erwartungskanon zu verändern, meint Hennecke. “Bettina Wulff hat probiert, der Rolle eine andere, moderne Interpretation zu geben. Erst wurde sie von der Presse gefeiert, später sehr kritisiert.”
Hennecke schließt daraus, dass die deutsche Gesellschaft – auch im 21. Jahrhundert – nicht bereit ist für ein moderneres Bild. “Wahrscheinlich würde jeder diese Aufgabenverteilung zwischen dem Paar als antiquiert bezeichnen. Aber gleichzeitig erwartet man von der First Lady diese Rolle inklusive sozialem Engagement und als Begleitung des Mannes.” Und es entstünde auch faktisch eine Lücke, wenn die Partnerin oder der Partner eines kommenden Staatsoberhaupts sich den Aufgaben entziehen würde.
Ob die weitgehend weiblich konnotierten Rollenerwartungen auch an einen Mann gestellt würden, wird sich möglicherweise eines Tages zeigen. “Ich denke, ein ‘First Husband’ wäre weniger ein Problem für die Gesellschaft, solange er die typischen Aufgaben übernimmt; anders verhielte es sich bei einer Person egal welchen Geschlechts, die sich den Erwartungen komplett verweigern würde”, meint Hennecke. Sie erinnert an Diskussionen, als Joachim Gauck 2012 Bundespräsident wurde, der mit seiner Partnerin Daniela Schadt nicht verheiratet ist. “Die Presse hatte Bedenken. Aber als dann Daniela Schadt die althergebrachten Erwartungen erfüllte, war das überhaupt kein Thema mehr.”
Auch wenn die zwölf Frauen an der Staatsspitze formell nicht demokratisch legitimiert sind, hat sich ihre Rolle institutionalisiert. “Wilhelmine Lübke hat sich zum Beispiel ein eigenes Büro für ihre Aufgaben erkämpft. Und im Haushaltsplan des Bundespräsidialamts sind Mittel vorgesehen, mit denen die First Lady ihre repräsentativen Aufgaben bestreiten darf”, erklärt Hennecke.
Praktisch steht heute ein Paar an der Staatsspitze. Das Geld verdient nur der Mann; finanziell honoriert wird “Deutschlands prominentestes Ehrenamt” nicht. Auch Rentenpunkte sammeln die Frauen nicht. “Ich denke, in Zukunft wird die Bereitschaft, fünf oder zehn Jahre den eigenen Beruf ruhen zu lassen, weiter abnehmen”, so Hennecke. Frank-Walter Steinmeiers Ehefrau Elke Büdenbender hängte nach der Wahl ihres Mannes ihren Job als Verwaltungsrichterin an den Nagel. Seit 2022 arbeitet sie aber wieder in Teilzeit als Richterin und übt weiterhin ihre First-Lady-Rolle aus. “Ich kann nun das eine tun und muss das andere nicht lassen, und es wird sicher ein Kontrastprogramm. Aber es geht vieles, wenn man es will”, sagte Büdenbender damals.
Hennecke sieht die Erwartungen an die First Ladies als Spiegel von jahrzehntelang gewachsenen Frauenbildern. “Erwartungen formen die Rolle”, sagt die Politikwissenschaftlerin. Auch das wohl ein Thema, das viele Frauen kennen.
Und dann wäre da noch der Aspekt Wertschätzung. Während der Bundespräsident bei seinem Amtsantritt automatisch die höchste Stufe des Bundesverdienstkreuzes bekommt, gehen die Gattinnen erstmal leer aus. In der Vergangenheit bekamen sie es, wenn überhaupt, erst deutlich später und nicht für ihre Rolle als Landesmutter. “Dabei ist es ja ein erheblicher Beitrag, auch zur Demokratie, den Menschen vorzuleben, sich für andere Menschen einzusetzen. Das wird mit ‘ein bisschen Charity’ abgetan”, kritisiert Hennecke. “Jede First Lady hat Wichtiges und Nachhaltiges für unsere Gesellschaft hinterlassen.”