25 Jahre nach dem Nato-Einsatz in Serbien

Die Ereignisse liegen ein Vierteljahrhundert zurück und bleiben dennoch sehr präsent: Am 24. März 1999 begann der Nato-Einsatz im früheren Jugoslawien. Beobachter wollen die Hoffnung auf Wandel nicht aufgeben.

„Kollateralschaden“ – heute noch hängt dieser Begriff wie ein Mühlstein am Hals der Nato. Gemeint waren die Zivilisten, die vor 25 Jahren bei der Bombardierung serbischer Armee- und Regierungsziele durch westliche Kampfjets starben; die Zahlen reichen von 400 bis 750. „Ich würden den Begriff heute nicht mehr verwenden. Diese technische Sprache kann unsensibel und ausweichend rüberkommen. Das ist eine Lektion, die ich 1999 gelernt habe“, sagt Jamie Shea.

Als Nato-Sprecher wurde er zum Gesicht des Militäreinsatzes im ehemaligen Jugoslawien. Trotz der Verluste wertet er die Mission heute als Erfolg.

Am Abend des 24. März 1999 entluden Jagdbomber aus Spanien Raketen über jugoslawischen Luftwaffenstützpunkten. „Operation Allied Force“ hatte begonnen. Um eine „humanitäre Katastrophe“ im Kosovo zu verhindern, hatte die Nato ohne UN-Mandat den Angriff gestartet. Gewalt sei die einzige Sprache, die der jugoslawische Autokrat Slobodan Milosevic verstehe, war man in Washington und europäischen Hauptstädten überzeugt.

Milosevics Armee hatte in den späten 1990er Jahren die Guerillaangriffe der ultranationalistischen Kosovarischen Befreiungsarmee (UCK) zurückgeschlagen – und dabei die Kosovo-Albaner zum kollektiven Feind auserkoren. 800.000 Menschen, fast die Hälfte der Bevölkerung des Kosovos, waren zum Ende des 78-tägigen Nato-Bombardements auf der Flucht. Sie wären für immer aus ihrer Heimat vertrieben worden, und Milosevic hätte noch etliche weitere Jahre Terror am Balkan gesät, schätzt Shea: „Die Nato hat den Krieg im ehemaligen Jugoslawien gestoppt und Millionen Menschen ein Leben in Frieden und Sicherheit ermöglicht, wenngleich vielleicht noch nicht in Wohlstand.“

Sowohl in Serbien als auch im Kosovo hat der Nato-Einsatz den Blick auf den Westen geprägt – auf unterschiedliche Weise, sagt Ulf Brunnbauer, Direktor des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg. So hätten die vielen toten Zivilisten selbst liberale Serben skeptisch gestimmt: „In Serbien fühlen viele, dass diese Opfer im Westen wenig Anerkennung finden. Das ist jener Boden, der von antiwestlichen Kräften wie der Regierungspartei, der Orthodoxen Kirche und als externer Akteur von Russland für ihre Propaganda beackert wird: Sie behaupten, dem Westen sei nicht zu trauen.“

Anders im Kosovo. Dort wurden die einrollenden Nato-Soldaten der „Kosovo Force“ (KFOR) mit Graffiti begrüßt wie „Gott segne Amerika“. Und mit Blick auf die damalige US-Verteidigungsministerin: „Madeleine Albright ist unsere Mutter“.

Bis heute ist die KFOR im Nordkosovo stationiert, wo ethnische Serben wohnen. Sie werfen den ethnisch-albanischen Politikern in der Hauptstadt Pristina Unterdrückung vor. Die Wunden der 1990er Jahre wollen nur langsam heilen.

„Das Trauma der serbischen Gesellschaft als Folge der Bombardierung besteht weiter und wurde zwei Jahrzehnte lang auf politischer Ebene manipuliert“, berichtet der Politanalyst Igor Bandovic in Belgrad. Weder in der Gesellschaft noch im Geschichtsunterricht sei der Kosovokrieg aufgearbeitet worden. „Das hat dazu geführt, dass jüngere Generationen den Narrativ der 90er Jahre fast eins zu eins übernahmen.“

Eine Politik, geboren aus Stolz, Beleidigung, Opfermythos und Befreiungskampf: Der Balkan-Nationalismus gibt sowohl in Pristina als auch in Belgrad die Marschrichtung vor. Das lässt nicht nur EU-Diplomaten verzweifeln, die zwischen den Regierungen vermitteln. Auch führt es zu brenzligen Situationen wie vergangenen September, als die beiden Nachbarn vermutlich an einem erneuten offenen Konflikt vorbeischrammten.

In der nordkosovarischen Stadt Banjska hatten sich serbische Extremisten über Stunden eine Schießerei mit Kosovos Polizei geliefert. Anschließend verbarrikadierten sie sich in einem orthodoxen Kloster und konnten entkommen. Ein kosovarischer Polizist und drei serbische Angreifer starben. Kosovos Politiker verurteilten die „Terroristen“. Serbiens Medien hingegen gedachten den „Märtyrern“ und „Helden vom Kosovo“.

Arben Hajrullahu hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass die Nachbarn irgendwann doch zu einer gemeinsamen Geschichtsdeutung finden. „Diese Vision sollte nie aufgegeben werden“, so der Politologe der Universität Pristina. Eine Voraussetzung aber bleibe die gegenseitige Anerkennung der Staaten.