Anfang Oktober ließ sich Argentiniens Präsident Javier Milei noch wie ein Star feiern. Vor Tausenden herangekarrten Fans sang der rechtslibertäre Politiker bekannte argentinische Rocklieder. Zwischen Hasstiraden gegen die peronistische Opposition und einem frenetisch jubelnden Publikum wirkte die Show allerdings wie ein Ablenkungsmanöver. Denn angesichts mehrerer Korruptionsskandale und einer weiter kriselnden Wirtschaft sieht es für die Regierungspartei bei den Wahlen für die Hälfte von Parlament und Senat am 26. Oktober nicht gut aus.
Im Dezember 2023 trat Javier Milei als selbsternannter Außenseiter und politischer Newcomer sein Amt an. Der stets in Lederjacke auftretende Präsident wollte das Land mit marktradikalen Reformen grundlegend umkrempeln: Raus aus der Wirtschaftskrise, mit weniger Bürokratie und Korruption. Die Kettensäge diente als Symbol seiner Politik und wurde auch von Tesla- und X-Chef Elon Musk aus den USA übernommen.
Zwei Jahre später konnte die Regierung zwar die monatliche Inflationsrate, die zwischenzeitlich über 15 Prozent lag, auf unter zwei Prozent senken. Der erhoffte Aufschwung für die Bevölkerung ist jedoch ausgeblieben. Die Preise sind schlichtweg zu hoch, um den Konsum wieder anzukurbeln. Eine Tasse Kaffee kostet derzeit umgerechnet zwei bis drei Euro, während der Mindestlohn mit etwa 205 Euro zu den niedrigsten in ganz Lateinamerika zählt. Aus dem angekündigten „Durstjahr“ wurde für einen großen Teil der Bevölkerung ein zweites.
Zwar ist der Anteil der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze laut offiziellen Zahlen innerhalb eines Jahres von knapp 50 auf 32 Prozent im ersten Halbjahr 2025 gesunken. Der Rückgang sei jedoch vor allem auf die angewandte Messmethode zurückzuführen, sagte die Verwaltungswissenschaftlerin Agustina Haimovichin der Zeitung „Página12“. „Es werden veraltete Preise für die Berechnung der Lebenshaltungskosten verwendet.“
Milei geht derweil auf die negativen Aspekte der Entwicklung kaum ein und spricht weiter vom kommenden Wirtschaftsaufschwung. Seine Glaubwürdigkeit leidet jedoch zunehmend unter Korruptionsskandalen, die auch seinen engsten Kreis betreffen.
Mitte August machte das Onlinemedium „Data Clave“ bekannt, dass Mileis Schwester Karina mutmaßlich Schmiergelder angenommen habe. Karina gilt als engste Vertraute ihres Bruders und agiert im Hintergrund wie ein Schattenkabinett. Die Regierung reagierte mit Verschwörungstheorien und sprach von einer „russisch-venezolanischen Spionageaktion“ gegen den Präsidenten.
Anfang Oktober musste der Spitzenkandidat von Mileis Partei LLA für die Parlamentswahlen in der Provinz Buenos Aires, José Espert, zurücktreten. Nach mehreren Presseberichten sah er sich gezwungen, zuzugeben, mindestens 200.000 US-Dollar von einem in den USA gesuchten mutmaßlichen Drogenhändler erhalten zu haben, um 2019 eine eigene Präsidentschaftskampagne zu finanzieren. Espert erzielte damals 1,5 Prozent der Stimmen. Doch weil die zuständige Behörde die Wahlzettel nicht neu druckt, ist Esperts Konterfei weiter auf dem Stimmzettel für Sonntag.
Aktuelle Umfragen sehen die LLA zusammen mit dem Koalitionspartner PRO zwischen 28 und 40 Prozent. Bei einem guten Wahlergebnis könnte Milei zumindest ein Drittel aller Abgeordnetensitze erreichen. Bislang verfügt seine 2023 gebildete Koalition mit der Partei Propuesta Republicana (PRO) und weiteren Kleinstparteien nur über 85 von 257 Sitzen.
Dennoch gelang es Milei bislang häufig, Mehrheiten zu organisieren oder zumindest zu verhindern, dass das Parlament seine Präsidialbeschlüsse im Nachhinein für ungültig erklärt. Das funktioniert aber nicht mehr uneingeschränkt: Anfang August hob das Parlament mit großer Mehrheit ein Veto Mileis auf, mit dem er eine Erhöhung der Unterstützungsleistungen für Menschen mit Behinderungen verhindern wollte. „Freiheit bedeutet nicht, Menschen mit Behinderung sich selbst zu überlassen“, sagte damals die PRO-Abgeordnete Guadalupe Tagliaferri und verweigerte Milei ihren Gehorsam.
Milei setzt bei dieser Wahl alles aufs Spiel – das wissen auch die Unternehmer, die ihn bislang unterstützten. Die Zeitung „El Diario AR“ zitierte einen Finanzexperten bei einem Treffen der argentinischen Wirtschaft: „Sollte LLA nicht zwischen 30 und 35 Prozent der Stimmen erreichen, ist es aus mit den Reformen.“