Zwischen Regelbefolgung und großer Geste

Stadt oder Land, Touristenkirche oder verschlafenes Kleinod. Die Coronakrise bringt neue Herausforderungen für die Kirchenöffnungen: nicht nur im Gottesdienst.

So wir hier am Augustinerkloster in Erfurt könnte "Offene Kirche" aussehen.
So wir hier am Augustinerkloster in Erfurt könnte "Offene Kirche" aussehen.epd/Dirk Loehr

Abstand. Maske. Desinfektion. Die Regeln zur Bekämpfung der Pandemie sind überall die Gleichen. Die Gegebenheiten in den und um die Kirchen aber sind unterschiedlich. Große Stadtkirchen, stark frequentiert. Kleine Kirchen, direkt in großen Touristenzentren. Stille Kapellen am Radweg. Riesige Patronatskirchen weit auf dem Land. Für die Kirchengemeinden bedeutet es, je nach den Gegebenheiten ihres Wohnortes, einen Spagat – beides zu bieten: den vorgeschriebenen Schutz und ein herzliches Willkommen an alle Touristen.

Regeln und Verantwortung in der Corona-Zeit

„Wir können tägliche Kirchenöffnungen unter Einhaltung der Corona-Regeln personell gar nicht abdecken“, sagt Pastor Johannes Staak von der Ostseeinsel Poel. Die Kirchdorfer Kirche bleibt in diesem Sommer verschlossen. Seine ehrenamtlichen Kirchenwächterinnen gehören altersbedingt zur Risikogruppe, sagt er. Der Urlauberdruck sei hoch, 20.000 Besucher verzeichnet die Kirche pro Saison. „Da sind schnell mal 50 bis 60 Besucher auf einmal drin.“ Aufsicht sei da unbedingt nötig: ob die Ein- und Ausgangsbeschilderungen richtig benutzt, Mundschutz getragen, Hände desinfiziert, Abstandsregeln eingehalten würden. „Viele halten sich eben nicht daran, wenn sie sich selbst überlassen sind. Und wir tragen nun mal die Verantwortung, genau wie beim Gottesdienst auch.“ So bietet er mittwochs 19 Uhr eine, bei Bedarf auch zwei Führungen nacheinander mit Abendgebet an, bei denen maximal 50 Menschen in der Kirche platz nehmen dürfen.

Auch für Hilmar Warnkross in Gartz an der Oder in der Uckermark geht Sicherheit vor und nichts ohne Aufsicht. Er bedauert, dass die fachkundigen Führungen durch einen Mitarbeiter des Ackerbürgermuseums eingestellt wurden. „Wir hatten die Kirche in Gartz dann unbeaufsichtigt geöffnet, aber das Ergebnis war, dass unsere Lautsprecheranlage in der Oder lag“, sagt er. Und so entschied sich die Gemeinde schon vor Corona, abzuschließen. Eine Öffnung nun in dieser Zeit? Undenkbar für den Pastor in der Nähe der Grenze zu Polen. „Wenn man die Spielregeln einhält, ist das nicht möglich.“

Die Kirche in Gartz öffne nur zum Gottesdienst, und werde anschließend von einer zertifizierten Reinigungsfirma desinfiziert. Die Kirchen auf den umliegenden Dörfern, zu klein für den nötigen Abstand, sagt er, blieben komplett geschlossen. Personal für Kirchenöffnungen gäbe es nicht, der Aufwand wäre zu hoch für die wenigen Rad-Touristen, die ohnehin meist mehr Interesse an den sanitären Anlagen hätten. Die Kirchengemeinde möchte den Besucherverkehr nicht fördern, sagt er.

Greifswalder Dom beschäftigt einen ganzen Ring Domwächter

In den Hansestädten gestaltet sich die Situation etwas anders. Auch im Corona-Sommer strömen viele Kulturinteressierte in die stolzen Prachtkirchen. Die Last liegt auf mehreren Schultern. Um dem Touristenstrom gerecht zu werden, ist im Greifswalder Dom ein ganzer Ring von Domwächtern aktiv: „ein Team von Ehrenamtlichen, angefüllt mit geringfügig Beschäftigten“, sagt Pastor Tilman Beyrich. 200 bis 300 Striche zeichnen sie täglich zwischen 10 und 18 Uhr in ihre Liste, für jeden Besucher einen. Maske auf beim Gehen, im Sitzen kann sie ab. Aber Abstand ist Devise. „Platz haben wir ja genug!“

Auch in Gingst auf Rügen gibt es den. Pastor Gerber lässt das Gotteshaus von 8 bis 18 Uhr ohne Aufsicht geöffnet. Unübersichtliche Touristenströme wie auf Poel gäbe es hier im östlichen Teil der Insel nicht, Busgruppen fehlten momentan ganz. „Und was an Wertvollem hinausgetragen werden könnte, das ist schon beim Brand 1718 zerstört worden“, sagt er. Anders als in Waase am Tor zur Halbinsel Ummanz. Die Kirche mit dem wertvollen Altar wird von Küsterin Dietlind Behrndt betreut (siehe Seite 13). „Schön, dass hier geöffnet ist!“, hört sie von den 30 bis 60 täglichen Besuchern oft. „Wir bitten hier besonders um Tragen des Mundschutzes“, sagt er Pastor. Denn die Mitarbeiterin sei bereits über 60.

„Offene Kirche“ mit wechselnden Orten

als Ganz fernab der Ostsee-Touristenströme versucht Pastorin Johanna Motesanto in der Kirchengemeinde Gresse-Granzin im Landkreis Ludwigslust-Parchim aus der Not eine Tugend zu machen. Statt der Gottesdienste in ihren neun Kirchen im südwestlichen Zipfel Mecklenburgs bietet sie nun sonntags in wechselnden Orten „Offene Kirche“ an, und zwar mit Programm. „Sommerkirche“ heißt es dann, „Musik und Wort“ oder „Kirche entdecken“, wobei sie Gäste an zehn Stationen der Kirche führt, biblische Geschichten erzählt.

Draußen wird mit Abstand gesungen, zur Andacht geht es hinein mit Maske. „Eigentlich machen wir, was wir im Gottesdienst auch machen“, sagt sie. Doch die Angebote wirken lockerer, und locken offenbar. „Einfach, weil wir die Chance haben, es mal anders zu nennen. Anwohner kommen, die sonst nie dabei waren, um ihre Kirche mal kennenzulernen“, erzählt sie begeistert über den guten Zulauf. Auch in kleine, sonst verschlossen Kapellen wie die in Granzin geht sie, damit die Bewohner eben mal nicht fahren müssen. Und so hofft sie, den Spieß umzudrehen. Corona als Chance …