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Zwischen Mission und Migration: Die deutsche Kirche in Mexiko

Sieben protestantische Kirchengemeinden gibt es in Mexiko. Eine von ihnen liegt in Tapachula. Dort stranden derzeit viele Migranten. Eindrücke von einem Besuch in der Stadt. Ein Gastbeitrag.

Stefanie Hoppe leitet einen Gottesdienst in Tapachula
Stefanie Hoppe leitet einen Gottesdienst in TapachulaBurmeister

Tapachula ist eine Stadt im mexikanischen Bundesstaat Chiapas, unweit der Pazifikküste und etwa 18 Kilometer von der Grenze zu Guatemala entfernt. Bis in die Hauptstadt, Mexiko-Stadt, sind es knapp 1100 Kilometer. Tapachula ist seit über 100 Jahren ein Treffpunkt und Austauschort für Menschen aus zwei Ländern, die historisch eng verbunden waren: Mexiko und Guatemala. Tapachula grenzt direkt an Guatemala, das bis zur Unabhängigkeit 1821 – genau wie Mexiko – Teil des Vizekönigreichs Neuspanien war.

Früher spielten Staatsgrenzen hier eine untergeordnete Rolle. Heute sind sie unüberwindbar. Tapachula ist der erste Anlaufpunkt für tausende Migrant:innen aus Mittelamerika und der Karibik, die sich auf den Weg nach Norden machen.

Grenzübertritte in USA: Trump verfolgt Politik der Abschreckung

Als ich 2018 als junger Lehrer aus Berlin nach Mexiko-Stadt aufbrach, spürte ich die Aufregung und Neugier auf ein neues Land, eine neue Kultur – und eine neue berufliche Aufgabe. Damals ahnte ich nicht, wie sehr mich das Thema Migration begleiten würde. Ich kam nach Mexiko-Stadt, um an der Deutschen Auslandsschule zu arbeiten. Von diesen Migrantenkarawanen hatte ich gehört. In Mexiko-Stadt sah ich provisorische Zelte, in denen Familien aus Nicaragua, Guatemala, Honduras, Haiti und anderen Ländern unter einfachsten Bedingungen untergebracht wurden.

Niemand kann mit Sicherheit sagen, wie viele von den Menschen, die in Tapachula aufbrechen, die fast 4000 Kilometer lange Reise in den Norden Mexikos bis zur US-Grenze bewältigen. Viele geben vorher auf, andere fallen den Drogenkartellen zum Opfer. Sicher ist nur, dass seit der Präsidentschaft von Donald Trump eine Politik der Abschreckung verfolgt wird, um Grenzübertritte in die USA drastisch zu reduzieren.

Viele Migrantinnen und Migranten stecken in Mexiko fest

Unmittelbar nach seinem Amtsantritt ließ die US-Regierung zuvor vereinbarte Termine für Migrantinnen und Migranten mit der Grenzschutzbehörde Customs and Border Patrol (CBP), der Zoll- und Grenzschutzbehörde der Vereinigten Staaten, streichen. Mit sofortiger Wirkung wurden auch die Funktionen der App „CBP One“ zur Vereinbarung künftiger Termine eingestellt. Über diese App konnten seit 2020 Migrantinnen und Migranten, die in die USA einreisen wollen, Termine an verschiedenen Grenzübergängen vereinbaren.

US-Präsident Donald Trump setzt in der Migrationspolitik auf Abschreckung
US-Präsident Donald Trump setzt in der Migrationspolitik auf AbschreckungImago/ ABACAPRESS

Die meisten dieser Migrant:innen stecken nun in Mexiko fest und sind auf Unterstützung der Zivilgesellschaft angewiesen. Viele bleiben in Grenzorten wie Tapachula und stellen Mexiko vor riesige Herausforderungen.

Mexiko: Kirche hilft Migrantinnen und Migranten

Die Kirchen spielen in Mexiko eine bedeutende Rolle bei der Bewältigung der Herausforderungen rund um die Migration und die Situation von Geflüchteten. Kirchliche Organisationen und Einrichtungen – allen voran die katholische Kirche – betreiben entlang der Migrationsrouten zahlreiche Migrantenunterkünfte („albergues“). Diese bieten Schutz, Nahrung, medizinische Versorgung und rechtliche Beratung. Auch in Tapachula finden sich mehrere dieser sogenannten Casa del Migrante. Zahlreiche kirchliche Stimmen kritisieren regelmäßig die teils unmenschlichen Bedingungen entlang der Routen und fordern die Achtung der Menschenrechte für Migrant:innen. Sie fordern die Regierung dazu auf, eine solidarischere und menschlichere Migrationspolitik umzusetzen.

Was unter dem Begriff „Massendeportationen“ diskutiert wird: Seit Januar 2025 ist die Zahl der Abschiebungen zwar nicht höher als unter dem früheren US-Präsidenten Joe Biden – doch die Inszenierung hat sich verändert. Migrantinnen und Migranten werden nun in Militärflugzeugen der US-Luftwaffe abgeschoben, begleitet von Medienvertreterinnen und -vertretern. Dies verstärkt das politische Narrativ der „kriminellen Migrant:innen“ und sorgt für internationale Kritik. Infolgedessen haben sich Mexiko und andere Länder der Region geweigert, solche medial inszenierten Rückführungen auf zivilem Wege zu akzeptieren. Der Begriff „Massendeportationen“ ist daher eher Teil eines wahlpolitischen Diskurses als Ausdruck einer tatsächlichen Veränderung der Praxis.

Tapachula: Ein historischer Migrationsort in Mexiko

Tapachula war schon immer ein dynamischer Migrationsort, wie ich während meines Aufenthaltes erfuhr. Im späten 19. Jahrhundert erlebte der Süden Mexikos eine Welle deutscher Einwanderung. Die mexikanische Regierung förderte damals gezielt die Ansiedlung deutscher Einwanderer, um die wirtschaftliche Entwicklung der Region voranzutreiben. Viele dieser Einwanderer waren evangelisch und spielten eine bedeutende Rolle in der Wirtschaft, insbesondere in der Kaffeeproduktion.

Für die Kaffee-Produktion im mexikanischen Tapachula, wie sie in solch einer Anlage stattfindet, spielten evangelische Einwanderer aus Deutschland einst eine große Rolle
Für die Kaffee-Produktion im mexikanischen Tapachula, wie sie in solch einer Anlage stattfindet, spielten evangelische Einwanderer aus Deutschland einst eine große RolleBurmeister

Mein persönlicher Bezug zu Tapachula entwickelte sich über meine Gemeinde in Mexiko-Stadt – die deutschsprachige evangelische Heilig-Geist-Kirche. Sie ist Teil eines weltweiten Netzwerks von über 100 deutschsprachigen evangelischen Auslandsgemeinden, die bereits im 19. Jahrhundert von Auswanderern gegründet wurden. Die Gemeinde ist der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zugeordnet und bietet deutschsprachigen Protestant:innen sowie ihren Nachkommen eine geistliche Heimat.

EKBO-Pfarrerin betreut Kirchengemeinden in Mexiko

Eine Besonderheit unserer Gemeinschaft ist ihre Struktur: Sie umfasst sieben Inlandsgemeinden, die über ganz Mexiko verteilt sind. Sie werden derzeit von der deutschen Pfarrerin Stefanie Hoppe mit großem Engagement betreut. Sie kommt aus der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) und war vorher Gemeindepfarrerin in Potsdam. Eine dieser Gemeinden liegt in Tapachula. Diese besuchte ich im Februar gemeinsam mit Mitgliedern des Kirchenvorstandes auf Initiative unserer Pfarrerin Hoppe.

Im Rahmen unseres Besuchs waren wir auf Einladung von Thomas Edelmann, einem Mitglied unserer Gemeinde, auf der Finca Hamburgo. Sie ist eine der führenden Produzenten von Spezialitätenkaffee. Thomas Edelmanns Großvater Arthur Edelmann aus Perleberg gründete die Finca im Jahr 1888, nachdem er einer Einladung der mexikanischen Regierung gefolgt war. Mit Unterstützung seiner Frau Doris Martens und weiterer deutscher Fachkräfte entwickelte er die Finca zu einer der erfolgreichsten Kaffeeplantagen des Landes.

Die Finca Hamburgo ist einer der führenden Kaffee-Produzenten in Mexiko
Die Finca Hamburgo ist einer der führenden Kaffee-Produzenten in MexikoBurmeister

Der Besuch der Pfarrerin Stefanie Hoppe aus Mexiko-Stadt und der gemeinsame Gottesdienst bilden den Mittelpunkt des Gemeindelebens. Unsere Inlandsgemeinde in Tapachula verfügt anders als wir in Mexiko-Stadt nicht mehr über ein Kirchengebäude. Die Gottesdienste werden in den Häusern oder den Fincas der Gemeindeglieder gefeiert und erhalten auf diese Weise einen persönlichen, warmen und einladenden Charakter. Da Tapachula über eine Flugstunde von Mexiko-Stadt entfernt ist, finden die Gottesdienste vor Ort maximal dreimal pro Jahr statt. Die spürbare Glaubensfreude und tiefe Verbundenheit der Gemeinde hinterließen bei mir einen bleibenden Eindruck. Die Intensität dieser Feier erinnerte mich an die frühen Christinnen und Christen, die als kleine Gruppen eine starke Glaubensgemeinschaft bildeten.

In Mexiko finden auch deutschsprachige Gottesdienste statt

Als Geschichtslehrer war es für mich eine beeindruckende Entdeckung, dass ein Teil deutscher Geschichte in Mexiko so präsent ist, obwohl er in Deutschland weitgehend unbekannt bleibt. Höhepunkt unseres Besuchs war der gemeinsame Gottesdienst in deutscher Sprache, der mich tief berührte. Seit 1888 versuchen evangelische Christ:innen in Südmexiko, ihren Glauben bewusst zu leben – und dazu gehört auch, Gottesdienste auf Deutsch zu feiern. Obwohl viele Gemeindeglieder heute zweisprachig sind und Spanisch ihre Hauptsprache ist, bleibt die Muttersprache Martin Luthers ein zentrales Element des Gottesdienstes.

Die dortige Kirchenvorsteherin Ingrid Hofmann brachte es mit ihren 81 Jahren auf den Punkt: „Es gab uns in schwierigen Zeiten, es gibt uns noch und wenn ich in die Kirche schaue und die Kinder sehe, weiß ich, dass es uns auch in Zukunft geben wird.“

Perleberg in Deutschland und Tapachula in Mexiko liegen fast 10 000 Kilometer auseinander – und doch verbindet sie eine gemeinsame Geschichte. Hoffentlich auch eine gemeinsame Zukunft.