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Zugunglück-Gedenken – “Herausgerissen aus der Welt der Lebendigen”

“Was wir jetzt tun müssen, fällt uns allen bitter schwer”, sagt Bischof Gohl beim Gedenken nach dem Zugunglück von Riedlingen. Im Gottesdienst fallen die leuchtenden Warnwesten der mittrauernden Einsatzkräfte auf.

Es gleicht fast einer Mahnung des Himmels: Kurz bevor im baden-württembergischen Zwiefalten der Trauergottesdienst für die Opfer des tödlichen Zugunglücks von Riedlingen beginnt, verdunkelt sich der Himmel – und Donner grollt. Doch an diesem Freitagvormittag regnet es nicht solche Massen wie am Sonntag. Da verunglückte ein Regionalzug auf der eigentlich idyllischen Strecke im zehn Kilometer entfernten Riedlingen.

Die Ursache des Unfalls war vermutlich ein durch Starkregen ausgelöster Erdrutsch auf die Gleise. Mehrere Wagen des zwischen Sigmaringen und Ulm verkehrenden R55 entgleisten. Drei Menschen wurden getötet: der 32 Jahre alte Lokführer, ein 36 Jahre alter Mitarbeiter der Zuggesellschaft sowie eine 70 Jahre alte Reisende. 36 Menschen wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt.

Im Zwiefalter Münster – einer der größten und prachtvollsten Barockkirchen Deutschlands – ist die Anteilnahme greifbar. In den Bankreihen leuchten die orangenen Warnwesten von Dutzenden Mitarbeitern von Rettungsdiensten und Rotem Kreuz wie helle Punkte in einem dunklen Meer Trauernder. Rund 500 Menschen sind in die frühere Klosterkirche gekommen.

“Was wir jetzt tun müssen, fällt uns allen bitter schwer”, beginnt der württembergische evangelische Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl seine Predigt. Sie ist vor allem an die Angehörigen der drei Toten gerichtet. Diese seien “ohne jede Vorwarnung herausgerissen” worden aus der “vertrauten Welt der Lebendigen”. Gohl sagt: “Es ist wie ein böser Traum. Doch es ist kein Traum. Es ist Wirklichkeit.”

Auch er habe “keine Antwort auf die letzte Frage, die wir als glaubende Menschen stellen: Warum, Gott, hast Du dieses Unglück nicht verhindert?”. Doch würde man angesichts dieses Unglücks verstummen, dann hätte der sinnlose Tod gewonnen, sagt der Geistliche.

Der katholische Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Klaus Krämer, sagt bei dem ökumenischen Gedenken: “Die Fassungslosigkeit über dieses Ereignis verbindet uns über Konfessions- und Glaubensgrenzen hinweg.” Gemeinsam suche man “Trost und Halt nach diesem unbegreiflichen Unglück”. Schmerz lasse sich nicht einfach wegwischen. Schmerz müsse ausgehalten werden.

Neben dem Gedenken an die Verstorbenen und dem Dank für die Helfer gibt es im Ablaufplan auch den Dank für das Überleben. Einsatzkräfte und Notfallseelsorger, aber auch der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Bahnchef Richard Lutz bringen weiße und rote Rosen zum Altar. Für die drei Toten werden drei weiße Kerzen entzündet. Kretschmann und Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) verneigen sich davor, bevor sie am Ende des Gedenkgottesdienstes ans Mikrofon gehen.

Schnieder spricht im Namen der Bundesregierung den Angehörigen der Getöteten das Beileid aus und sagt: “Unser Herz ist voller Trauer.” Das Unglück zeige, wie verletzlich und verwundbar Menschen seien. Dies gelte gerade im Zeitalter der Mobilität. “Mobilität ist immer auch mit Risiken verbunden.”

Kretschmann betont, das Zugunglück habe Leid über viele Familien gebracht. Auf einen Schlag sei nichts mehr wie vorher. Für ihn als Ministerpräsident sei dies zutiefst bedrückend: “Ist es ja doch erste Aufgabe des Staates, seine Bürger zu schützen!” Deshalb prüften die Behörden die Unfallursache auch so genau – um künftig die Sicherheit zu verbessern.

Nach dem Gottesdienst treffen sich Kretschmann, Schnieder und Lutz noch zu einem Gespräch mit Angehörigen – unweit der Kirche und ganz ohne Medien. Es ist nur ein kurzer Weg dorthin über nasse Straßen – aber wohl ein schwerer Gang.