Zu Hause im Museum

Beim Projekt „Bei Anruf Kultur“ können blinde Menschen telefonisch eine Museumsführung machen. Die Idee dazu kam vom Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg. Wie so eine Führung abläuft.

"Bei Anruf Kultur" ist ein Angebot für kulturbegeisterte Blinde (Symbolbild)
"Bei Anruf Kultur" ist ein Angebot für kulturbegeisterte Blinde (Symbolbild)Imago / YAY Images

Ein kurzes Knacken in der Leitung, dann sind auch schon vorsichtige „Hallos“ zu hören – die Einwahl zur Telefonführung von „Bei Anruf Kultur“ ist einfach und geht schnell. Es ist kurz vor 16 Uhr, immer mehr Menschen kommen dazu. Pünktlich dann die Begrüßung „Herzlich Willkommen zu unserer heutigen Führung“. Als Erstes die Frage: „Wenn Sie mögen, sagen Sie doch gern einmal, von wo Sie sich heute dazugeschaltet haben.“

Die Telefonführung geht durch die Ausstellung „Kunst + Design im Dialog“ im Museum für Angewandte Kunst Köln (MAKK). Die Zuhörenden an den Telefonen sind ganz unterschiedliche Menschen. Eine ältere Dame aus Düsseldorf, ein älterer Herr aus Hamburg, eine jünger klingende Frau aus Saarbrücken und eine Frau, die als Erstes sagt: „Es ist toll, als Blinde so einen Blick zu bekommen.“

„Bei Anruf Kultur“: Blinde Menschen können am Telefon eine Museumsführung erleben

Das ist nur eine Idee des Projekts „Bei Anruf Kultur“. 2021 ist es während des Corona-Lockdowns entstanden. Der Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg (BSVH) und „grauwert – Büro für Inklusion & demografiefeste Lösungen“ haben den Aufschlag zusammen mit Hamburger Museen gemacht, erzählt Referentin Annika Harder. Blinde Menschen können am Telefon eine Museumsführung erleben. „Das Angebot richtet sich aber an alle Menschen, die Interesse an Kultur haben“, erklärt Harder. Auch an jene, die sich einen Besuch in den Häusern nicht leisten können, denn „Bei Anruf Kultur“ ist kostenlos.

Für die Gruppe geht es los. Der Guide, selbst aus dem MAKK, beschreibt das Foyer des Museums, erzählt über die Architektur: „Weiße Wände, sehr hohe Decken, links ist eine Treppe mit etwa 50 Stufen, rechts ein lichtdurchfluteter Innenhof.“ Erklärt wird, dass die Designausstellung aus rund 700 Objekten einer Schenkung des Architekten Richard Winkler besteht. Gleich vornean ein echter Hingucker. „Auf einem roten Teppich steht der silberne Mercedes. Es ist ein Zweisitzer, ein SL 300 Coupé. Die Flügeltüren sind nach oben geöffnet. Innen dunkelrote Sitze aus feinstem Leder.“

Beim Projekt sind inzwischen Museen bundesweit dabei

Es geht durch eine elektrische Glastür, in dem Raum feinstes Parkett. „Designgeschichte wird mit Stühlen geschrieben“, sagt der Guide. „Ich stehe hier vor einem blauroten Klassiker von 1918. Der Stuhl ist ein Gebilde aus Linien und Flächen.“ Erzählt wird, wer den Stuhl entworfen hat und dass er nachbaubar ist. Nicht nur die Objekte werden den Zuhörenden beschrieben, sondern es gibt auch einen Einblick in die Räume. Und weil es eine Live-Führung ist, begrüßt der Guide zwischendurch auch Besucherinnen und Besucher des Museums.

Zum Start des Projekts waren nur Hamburger Museen dabei, erklärt Annika Harder. „Inzwischen sind mehr als 70 Häuser bundesweit dabei. Nur das Saarland fehlt noch.“ Mitgemacht hat etwa auch schon das Stadtmuseum Simeonstift Trier. Das Angebot von „Bei Anruf Kultur“ wachse stetig, erläutert Harder. „2023 hatten wir 12 bis 14 Führungen pro Monat. Jetzt sind es monatlich rund 20.“ Manche Museen melden sich, weil sie mitmachen möchten, andere werden vom Projekt angesprochen, „weil wir eine Ausstellung interessant finden oder einen Tipp von unseren Teilnehmenden bekommen“.

Führung im MAKK: „Es regt die Ohren zum Sehen an“

Die Führung im MAKK geht vorbei am berühmten Freischwinger aus Stahlrohr von 1928. Die Idee sei durch den Fahrradlenker des Designers entstanden, sagt der Guide. In der ersten Fragenrunde nach etwa 20 Minuten geht es um die Bauhaus-Kunst. Der Teilnehmer aus Hamburg lobt die tolle Beschreibung. Weiter geht’s: „Ich gehe eine Treppe hoch, die ein bisschen knarzt.“ Objekte aus den 1950er und 1960er Jahren werden beschrieben, der gemütliche Egg-Chair, der Ball-Chair, der aus der Begeisterung für das Weltall entstanden ist. Zuletzt noch ein Stuhl, den ein 3D-Drucker geschaffen hat.

Am Ende noch eine kurze Fragerunde. „Können Blinde die Objekte im Museum anfassen?“ Nein, erklärt der Guide, aber es gebe maßstabsgetreue Miniaturen aus den gleichen Materialien, die angefasst werden können. Dann gibt es noch zwei Empfehlungen für weitere Führungen, alle verabschieden sich. Eine Stunde Kultur am Telefon ist vorbei und viele Eindrücke bleiben. „Es regt die Ohren zum Sehen an“, fasst Annika Harder zusammen.