Zionskirche Berlin: Vom Kaiser zu Dietrich Bonhoeffer und Stasi-Widerstand

Eine Gründerzeitkirche mit der besonderen Tradition des Widerstands: die Berliner Zionskirche wird 150 Jahre alt.

Imago / Sergej Glanze

Große und kleine Fahrräder stehen im Durchgang zum Hinterhof. Rechts führen ein paar Stufen zum Gemeindebüro. Hier sitzt an diesem Abend Pfarrer Matthias Motter, kurze Haare, Ring im Ohr und Dreitagebart. Donnerstags hat er Sprechstunde. Wie gut die Hälfte der 1 000 Gemeindeglieder kommt auch er aus dem tiefsten Westen Deutschlands. Seit drei Jahrzehnten lebt er im ehemaligen Ostteil Berlins – er war unter anderem Pfarrer in Pankow, seit 2017 ist er an der Zionskirche im Prenzlauer Berg. Die bereitet sich in diesen Tagen auf ein großes Fest vor: Die Gründerzeitkirche mit besonderer Tradition, auf einer Anhöhe inmitten von Mietshäusern im Kiez gelegen, wird am 2. März 150 Jahre alt. Diese Kirche, sagt Matthias Motter, habe ihn von Anfang an fasziniert, weil sie eine offene Kirche ist. Und damit stehe sie in der Tradition von Dietrich Bonhoeffer, der hier Anfang der 1930er Jahre als Jugendvikar tätig war und eine „Kirche für andere“ gelebt hat. „Er hat hier Menschen in ihrer Lebenswirklichkeit gesehen. Dem fühlen wir uns verpflichtet.“

Ein Ort für Meinungsfreiheit

Nicht ohne Stolz verweist Matthias Motter darauf, dass es in diesem Jahr 80 Konfirmandinnen und Konfirmanden gibt und eine Kita mit 85 Plätzen. Aber auch die Tradition der Umweltbibliothek, die nach dem nächtlichen Stasi-Überfall im November 1987 weltweit Schlagzeilen machte, ist ihm wichtig. Sie war ein Ort gegen Unterdrückung und für Meinungsfreiheit. Die Kirche schätzt er besonders, weil der Kirchenraum auch die Wunden und Narben der Vergangenheit zeigt: die Geschichte des Widerstandes gegen zwei Diktaturen. Eben keine prunkvolle Kirche. Und damit in ihrer Unvollkommenheit ein Spiegelbild menschlicher Existenz mit allen Höhen und Tiefen ist. Das soll auch so bleiben, wenn die Backsteinkirche mit dem schlanken Turm nun umfassend restauriert wird. Ein großer Bauaufsteller neben dem geöffneten schmiedeeisernen Tor kündet davon.

Im vergangenen Sommer wurde mit den Arbeiten begonnen, im Jahr 2025 sollen sie abgeschlossen sein. Eine moderne Fußbodenheizung, gespeist aus Erdwärme, und eine neue Orgel sind geplant. Doch Schadstellen sollen bewusst erhalten werden: Spuren der besonderen Vergangenheit. Horst Edler, Journalist und seit den 1990er Jahren einer der ganz Aktiven im Vorstand des Fördervereins der Kirche, steht auf der Empore. Er zeigt auf mehrere Plexiglasplatten, unter denen bunte Farbreste zu sehen sind. Auch die sollen erhalten werden. Sie entstanden beim Bemalen von Transparenten auf dem Fußboden in den Nächten nach dem Überfall auf die Umweltbibliothek, während draußen Polizei und Staatssicherheit die Kirche umlagerten: „Wir protestieren gegen die Festnahmen und Beschlagnahmung in der Umwelt- Bibliothek“, war auf einem zu lesen.

Innenraum der Berliner Zionskirche
Innenraum der Berliner ZionskircheHans-Jürgen Röder

Ausstellungen in der Tradition des Widerstands

In der Tradition des Widerstandes war auf der Empore vor kurzem auch eine Ausstellung von 55 ukrainischen und deutschen Künstlern zu sehen. Sie zeigten „Orte des Widerstandes“ gegen den verbrecherischen Krieg des Diktators Putin. Nicht ohne Rührung erinnert sich Horst Edler an die junge Sophia. Sie hatte eine Arbeit aus ihrer Heimatstadt Odessa zusammengefaltet in ihrem kleinen Koffer mitgebracht und die Faltstellen des Gemäldes sichtbar gemacht. Am 24. Februar, dem Jahrestag des Überfalls auf die Ukraine, eröffnete Markus Kaesler, Foto-Künstler aus Heidelberg, hier eine Ausstellung zu 365 bearbeiteten Fotos: „Vanitas – Was bleibt?“ Er habe an jedem Tag des Krieges eines der Fotos „zerstört“, die nun in schwarzen Rahmen hier hängen. „Der Druck in mir musste raus, ich wollte einfach solidarisch sein“, sagt er. Mit einem breiten Spektrum an Veranstaltungen will der 1990 gegründete Förderkreis der Kirche an aktuelle Ereignisse wie auch die bewegende Geschichte der Kirche anknüpfen. Die ebenfalls vor kurzem gezeigte Ausstellung „Im Bau“ von dem Fotografen und Fördervereinsvorstand Roland Behrmann wurde von 3.000 Menschen besucht. Da ging es um die jüngste Baugeschichte der Zionskirche, die seit 150 Jahren ständig im Umbruch ist.

Gedenkstele für Dietrich Bonhoeffer vor Zionskirche
Gedenkstele für Dietrich Bonhoeffer vor ZionskircheImago / Reiner Zensen

Kaiser Wilhelm I. weihte ein, Dietrich Bonhoeffer wurde hier Jugendvikar

Kaiser Wilhelm I. war zu ihrer Einweihung 1873 höchstpersönlich gekommen. Er hatte das Geld für die Kirche gespendet, weil er einem Attentat entgangen war. Berlin wuchs in der Folgezeit binnen weniger Jahrzehnte von ein paar hunderttausend auf vier Millionen Einwohner. Die heute hochkomfortablen, heiß begehrten Wohnungen rund um die Kirche im Gründerzeitviertel waren damals vor allem Elendsquartiere für Arbeiter mit Billiglöhnen. Im größten Elend kurz nach der Weltwirtschaftskrise 1931 kam der damals 25-jährige Dietrich Bonhoeffer in die Gemeinde. Auch seine Konfirmanden lebten im Elend. Er half, wo er konnte, machte für sie eine Jugendstube auf, die aber von den Nazis nach der Machtergreifung bald wieder verboten wurde.

Zionskirche im Prenlauer Berg zu DDR-Zeit
Zionskirche im Prenlauer Berg zu DDR-ZeitImago / Rolf Zöllner

Stürmung der Umweltbibliothek 1987 durch die Stasi und Verhaftungen

Gut 50 Jahre später wird die Zionskirche erneut Schauplatz des mutigen Widerstandes gegen eine Diktatur. Pfarrer Hans Simon kam 1984 her. Er überließ den Keller seines Pfarrhauses gegen viele Widerstände jungen Menschen, die dort eine Umweltbibliothek eröffneten, sich aber auch für Meinungs- und Versammlungsfreiheit engagierten. Mit seiner Frau Barbara gab er ihnen Schutz und Räume. „Das konnte nicht gut gehen, wir dachten immer, wann kommen die und holen die Jugendlichen ab“, erinnert sich Annette Leonhardt, die sich seit Mitte der 1970er Jahre in der Zionsgemeinde engagiert. Sie wohnte über der Umweltbibliothek im Gemeindehaus in der Griebenowstraße. Als dann die Räume in der Nacht zum 27. November 1987 von der Stasi überfallen und die jungen Leute verhaftet wurden, „da haben wir in großer Angst das Licht gelöscht“. Beschämt habe sie das an die Nazi-Zeit erinnert, als Menschen ebenfalls das Licht löschten, wenn Nachbarn abgeholt wurden. Als dann am nächsten Morgen der Hof des Gemeindehaueses voller Menschen – darunter sogar Vertreter westlicher Medien – war, habe sie Hoffnung geschöpft, die knapp zwei Jahr später, im Herbst 1989, auch in Erfüllung gehen sollte. Bis vor kurzem war Annette Leonhardt Schriftführerin im Förderkreis. Der Gemeinde, die inzwischen unter dem Namen „Kirche am Weinberg“ mit drei weiteren Gemeinden vereint ist, ist sie bis auf den heutigen Tag treu geblieben. Als Zeitzeugin und Mitstreiterin in allen Höhen und Tiefen.

Festprogramm ab 3. März 2023

Donnerstag, 2. März 19 Uhr: Erinnerungen, Musik, Begegnung. Moderiert von Sandra Maischberger.

Mit folgenden Beiträgen: a) Sozusagen auf dem Lande. Die Anfänge der Zionskirche (Andreas Pflitsch) b) Wie wird Friede? Bonhoeffers Ringen um Gewalt als verantwortliche Tat (Eva-Maria Menard) c) Ein überwältigendes Gefühl von Selbstwirksamkeit – Was die Umweltbibliothek mit meinem (unserem) Leben gemacht hat (Tim Eisenlohr) d) Zionsgemeinde: Zwischen Vaterunser und Auseinandersetzung (Annette Leonhardt) e) „Points of Resistance“ – Die Zionskirche und die Kunst (Constanze Kleiner) f) KlangRaumZion – Visionen für die Zukunft der Zionskirche (Matthias Motter)

Sonntag, 5. März 10 Uhr Festgottesdienst mit Bischof Christian Stäblein

Bettina Röder ist Journalistin in Berlin