Zeugungsgeschichte ist ein Tabu

Mehr gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland und mehr Solo-Frauen wollen Kinder. Alleinstehende Frauen, die mit Samenspenden schwanger werden wollen, machten bereits 27 Prozent der Fälle in den Beratungsstellen aus, sagte die Projektleiterin des „Kompetenzzentrums Kinderwunsch“ (kompki), Birgit Mayer-Lewis, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Das ist eine gesellschaftliche Dynamik, mit der wir uns beschäftigen müssen“, sagte die Professorin für Heilpädagogik von der Evangelischen Hochschule Nürnberg. Sie und ihr Team stellen am Montag (10. Juni) in Berlin das Forschungsprojekt „Kompetenzzentrum Kinderwunsch“ bei einem Fachtag in Berlin vor.

Das „kompki“ soll im Auftrag des Bundesfamilienministeriums die Expertise über alle Facetten des Kinderwunsches zusammenführen, erklärte Mayer-Lewis. Es gebe in Deutschland zwar Expertise in den verschiedenen Disziplinen, die sich mit dem unerfüllten Kinderwunsch befassen. Die sei aber wenig vernetzt.

Drei Prozent aller Geburten gehe heute auf eine medizinische Kinderwunschbehandlung zurück. Das sollten Hebammen, Erzieherinnen und alle, die mit Eltern und Kindern arbeiten, berücksichtigen, stellte Mayer-Lewis fest. Die Zeugungsgeschichte sei auch nach der Geburt eines Kindes von Relevanz.

Seit 2018 hätten Kinder ab 16 Jahren, die mit einer Samenspende gezeugt werden, das Recht, über ihre Herkunft Bescheid zu wissen, berichtet die Professorin. Aber mit der Zeugungsgeschichte ihres Kindes offen umzugehen, sei für Paare oft sehr schwierig. „Das Thema ist wahnsinnig tabuisiert, weil damit Dritte in die Zeugungsgeschichte involviert werden“, sagte Mayer-Lewis. Eltern wünschten sich hierzu oft mehr Verbalisierungshilfen und einen offeneren Umgang in der Gesellschaft mit dem Thema.

Laut Mayer-Lewis ist in der Gesellschaft das Wissen über die Fertilität (Fruchtbarkeit) zu wenig verbreitet. Viele Frauen gingen davon aus, dass sie den Kinderwunsch in das vierte Lebensjahrzehnt verschieben könnten. Deshalb sei aber oft auch altersbedingt medizinische Unterstützung erforderlich. „Die biologische Uhr tickt, irgendwann ist die Möglichkeit vorbei, Kinder zu bekommen“. (00/1670/05.06.2024)