„Zeitarbeit ist teuer und schwächt uns“

Mehr Zeitarbeit durch Personalmangel, verbunden mit hohen Kosten für Fremdfirmen – die die Träger wiederum nicht erstattet bekommen. Bei allen Herausforderungen gibt es auch Lösungsvorschläge.

Auch in Kindertagesstätten führt der Personalmangel dazu, dass Zeitarbeitskräfte eingesetzt werden ­– oder die Öffnungszeiten reduziert werden.
Auch in Kindertagesstätten führt der Personalmangel dazu, dass Zeitarbeitskräfte eingesetzt werden ­– oder die Öffnungszeiten reduziert werden.epd-bild/imageBROKER/Jan Tepass

„Wenn ich eine Zeitarbeiterin beschäftige, dann kostet diese Person fast das Doppelte – denn die Verleihfirma verdient kräftig mit.“ Oder: „Zum Teil werben Zeitarbeitsfirmen aggressiv um meine Mitarbeitenden: mit 3000 Euro Handgeld, wenn sie wechseln, festen Arbeitszeiten ohne Schicht- und Wochenenddienste.“ Und: „Oft bezahlen Zeitarbeitsfirmen über Tarif, sie sind damit interessant für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und binden Fachkräfte, die für uns nicht mehr zur Verfügung stehen.“ Rückmeldungen wie diese hat die Diakonie RWL von vielen ihrer Träger bekommen.

Zeitarbeit nimmt in der sozialen Arbeit und im Gesundheitswesen erheblich zu. Das hat eine Online-Befragung unter den rund 5000 Mitgliedseinrichtungen ergeben: Von insgesamt 510 Fragebögen, die Träger aus NRW, Rheinland-Pfalz und dem Saarland beantwortet haben, tritt Zeitarbeit in jeder vierten Einrichtung auf, Tendenz steigend.

Die fünf wichtigsten Erkenntnisse:

1. Die Herausforderung: Zu wenige Arbeitskräfte für zu viel Arbeit
Ursprünglich war Zeitarbeit dafür gedacht, den Betrieb in Belastungsspitzen aufrechtzuerhalten. Kam das Personal etwa wegen Krankheitsfällen an seine Grenzen, konnte für einen kurzen Zeitraum Fachpersonal aus einer Verleihfirma hinzugebucht werden. Das hat sich geändert. Diakonische Träger melden seit Längerem hohen Bedarf an Arbeitskräften an. Offene Stellen bleiben länger vakant, teilweise können Pflegeeinrichtungen wegen des Personalmangels nicht alle Betten belegen. Pflegedienste müssen Routen absagen, Kindertagesstätten (Kitas) verkürzen Öffnungszeiten oder schließen tageweise Gruppen. Da Zeitarbeitsfirmen flexibel unterstützen, folgt aus dem Arbeitskraftmangel: Zeitarbeit nimmt zu. Wie stark, zeigt die aktuelle Umfrage der Diakonie RWL: Von einer Verdopplung in den vergangenen drei Jahren berichten Krankenhäuser, Träger der stationären Altenhilfe und der Kita-Bereich. Von Steigerungen um 150 Prozent berichten Träger der ambulanten Pflege sowie Wohnheime und Werkstätten für Menschen mit Behinderungen.

2. Der Kompromiss: Zeitarbeit als Zwischenlösung
Was als Überbrückung in Arbeitsspitzen gedacht war, wird mehr und mehr zum Regelfall. „Ziel aller politischen Anstrengungen muss es sein, die Daseinsvorsorge im pädagogischen, pflegerischen und Gesundheitsbereich so zu finanzieren, dass die reguläre Beschäftigung wieder attraktiver wird“, fordert Kirsten Schwenke, Vorständin der Diakonie RWL. Dabei geht es oft nicht nur um mehr Geld – sondern um sichere Dienstpläne mit geregeltem Frei und mehr Zeit für pädagogische oder pflegerische Handlungen.
Aktuell tritt Zeitarbeit laut der Umfrage bei zwei Dritteln der beantworteten Fragebögen von Krankenhäusern und in der stationären Altenpflege auf. Zwei von fünf Einrichtungen für Menschen mit Behinderung nutzen Zeitarbeit. Auffällig ist, dass auch Bereiche betroffen sind, bei denen dies früher undenkbar war. So greift fast jede fünfte Kita auf Zeitarbeiterinnen und Zeitarbeiter zurück sowie jede zehnte Einrichtung der stationären Jugendhilfe. „Bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, bei denen eine vertrauensvolle Bindung an das pädagogische Personal wichtig ist, sehen wir Zeitarbeit sehr kritisch“, sagt Kirsten Schwenke.

3. Das Problem: Träger bleiben auf den hohen Kosten für Zeitarbeit sitzen
Ein großes Problem sind die hohen Kosten, die mit jeder hinzugebuchten Arbeitskraft einhergehen. Diese kosten zwischen 20 bis 50 Prozent mehr als das Arbeitgeberbrutto bei einer Festanstellung. „Eine Pflegefachkraft mit fünf Jahren Berufserfahrung verdient bei der Diakonie ohne Schicht- und Wochenendzuschläge etwa 48 000 Euro im Jahr“, so Schwenke. Für eine Zeitarbeitskraft müssten die Betriebe zwischen 60 000 und 85 000 Euro bezahlen. Diese Mehrkosten bekommen sie von den Pflegekassen nicht refinanziert. Je nach Größe des Trägers können sich die offenen Beträge von mehreren Hunderttausend Euro auf bis zu einstellige Millionenbeträge summieren. „Zeitarbeit ist teuer und schwächt uns“, so das Fazit eines Geschäftsführers eines Altenpflegeheims.

4. Die gesellschaftliche Frage: Geld wird dem Sozialsystem entzogen
Zusätzlich zu diesem Problem weist Kirsten Schwenke auf einen weiteren Punkt hin: „Die Politik muss die Frage beantworten, ob Steuergeld sowie Geld der Kranken- und Pflegekassen, das für die Daseinsvorsorge und den gesellschaftlichen Zusammenhalt gedacht ist, in diesen Dimensionen an Privatfirmen überwiesen werden soll.“ Denn wenn jährlich Millionen Euro dem Sozialsystem entzogen werden, verlassen diese nicht nur den regionalen Wirtschaftskreislauf, sondern verbleiben als Gewinne bei Investoren. „Dieses Geld fehlt, um die soziale Arbeit zukunftssicher aufzustellen – etwa bei der Digitalisierung oder Investitionen zur Bekämpfung des Klimawandels.“ Das schade langfristig der Allgemeinheit.

5. Die Lösungen: Zeitarbeit regulieren und Regelsysteme stärken
Solange Einrichtungen auf Zeitarbeit angewiesen sind, muss diese refinanziert werden. Hilfreich wäre, die Kosten zu deckeln, damit Forderungen der Zeitarbeitsfirmen nicht in Wucher ausarten. Auch trägereigene Personalpools sollten ermöglicht und refinanziert werden. Seit vielen Jahren machen die Unikliniken damit gute Erfahrungen.

Umlage zur Beteiligung an der Ausbildung von Pflegekräften

Wünschen sich Zeitarbeitende wieder einen regelhaften Job in einem festen Team, dann sollte dies leichter möglich sein: Verträge, die Ablösesummen oder Karenzzeiten vorschreiben, sollten verboten werden. Auf einen wichtigen Aspekt, den die Landesregierungen selbst regeln könnten, weisen Träger aus der stationären Pflege hin: „Wir müssen uns mit einer Umlage an der Ausbildung der Pflegekräfte beteiligen. Das finden wir richtig und machen es gern. Zeitarbeitsfirmen beteiligen sich daran nicht, werben dann aber die ausgebildeten Pflegekräfte ab.“
In Richtung Bundesregierung schicken viele Träger eine klare Bitte: „Wir können den Arbeitskräftemangel nur mit Zuwanderung begegnen. Die Zugänge zum deutschen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt müssen dringend erleichtert werden.“

Für Diakonie RWL-Vorständin Kirsten Schwenke ist das Fazit der Mitgliederbefragung eindeutig: „Viele Träger werden auf Zeitarbeit angewiesen sein, um Klientinnen und Bewohnern helfen zu können. Gemeinsam mit der Politik müssen wir uns aber darüber verständigen, wie unsere Sozialsysteme so gestärkt werden, dass Zeitarbeit unattraktiver wird. Sie muss so gesteuert werden, dass sie weiterhin hilft, Belastungsspitzen abzudecken. Und sie muss so bezahlt werden, dass den Einrichtungen Luft zum Atmen bleibt.“