ZDF-Drama um eine (vermeintliche) Vergewaltigung
Ihre große Liebe sei er gewesen, sagt Katharina Schlüter über den Unternehmer Christian Thiede. Nun sitzen sich die beiden in einem Gerichtssaal gegenüber: Sie hat ihn wegen Vergewaltigung angezeigt.
Aussage gegen Aussage: Die typische Konstellation in einem Vergewaltigungsprozess – Zeugen gibt es in intimen Angelegenheiten ja üblicherweise nicht. Der Titel des Films spielt darauf an, führt zugleich aber auch etwas in die Irre. Denn so paritätisch, wie es „Sie sagt. Er sagt“ nahelegt, ist der Redeanteil nicht verteilt in dem Gerichtsdrama, das das ZDF am Montag, 26. Februar, um 20.15 Uhr ausstrahlt. Passender wäre vielmehr: Sie spricht, er schweigt.
Nach ganzen 95 Minuten Laufzeit ergreift „Er“ erstmals das Wort. Also dann, wenn Fernsehfilme normalerweise bereits vorbei sind. Das von Jurist und Bestsellerautor Ferdinand von Schirach geschriebene und von Regie-Altmeister Matti Geschonneck inszenierte Werk bekommt 105 Minuten eingeräumt – eine absolute Ausnahme im streng formatierten Programm.
Ein paar dramaturgische Freiheiten nimmt sich der Film
Auch in anderer Hinsicht nimmt das prominent besetzte Drama eine Sonderstellung ein, darf fast so nüchtern wie ein reales Gerichtsverfahren daherkommen. Natürlich nur fast – ein paar dramaturgische Freiheiten nimmt sich der Film dann schon.
Doch es beginnt recht trocken: mit Bildern eines sich füllenden Gerichtssaals, dazu die Stimme des Autors, der über Grundsätze der Judikative spricht. Schließlich wird die erste Zeugin vernommen, die Rechtsmedizinerin, die Katharina Schlüter nach der vermeintlichen Vergewaltigung durch Christian Thiede untersuchte.
Einvernehmlicher Sex oder Vergewaltigung?
Dann ist die Hauptzeugin der Anklage an der Reihe, die Fernsehmoderatorin Schlüter (Ina Weisse), die mit dem Angeklagten, einem Unternehmer (Godehard Giese), eine jahrelange Affäre verband. Auf die Trennung – beide waren verheiratet und des ewigen Versteckspiels müde – folgte ein zufälliges Wiedersehen. Bei dem laut Schlüter aus zunächst einvernehmlichem Sex eine Vergewaltigung wurde.
Was hier in wenigen Sätzen zusammengefasst ist, wird im Film en detail auseinandergenommen, hin- und hergewendet: Die Vorsitzende Richterin (Johanna Gastdorf) fragt, auch nach scheinbar winzigen Details, Schlüter antwortet. Ebenso kommen Thiedes Anwältin (Henriette Confurius) und Schlüters Rechtsbeistand (Matthias Brandt) zu Wort, fechten ihre Scharmützel aus, dazu kommen weitere Zeugenaussagen.
Grundlagen eines Gerichtsverfahrens formuliert von Schirach aus dem Off
Das Prozessgeschehen wird präzise aufgedröselt, so sachlich und reduziert wie möglich – aufs Affektive zielende Effekte meidet Geschonneck. Auf Musik verzichtet er, hält die Kamera stets auf einer gewissen Distanz, und lässt fast die gesamte Laufzeit an einem einzigen Ort spielen, dem Gerichtssaal.
Die Grundlagen eines Gerichtsverfahrens formuliert von Schirach aus dem Off: „Nur nach den Regeln der Strafprozessordnung dürfen Beweise erhoben werden. Diese Regeln sind streng, aber sie kanalisieren unsere Wut, sie ordnen unsere schwankenden Gefühle. Zorn und Rache lehnen sie als Ratgeber ab.“
„Sie sagt. Er sagt“ zieht in seinen Bann
Der kühle, nüchterne Ton ist zunächst ungewohnt, herausfordernd. Und doch zieht „Sie sagt. Er sagt“ schon bald in seinen Bann. Was zuvorderst an den hervorragenden schauspielerischen Leistungen liegt, an kleinsten mimischen Reaktionen, an denen manchmal eine ganze Welt abzulesen ist. Ina Weisse (die hier vom eigenen Ehemann in Szene gesetzt wurde) ist grandios. Aber auch Godehard Giese, der seinen großteils schweigenden Auftritt mit erstaunlich vielen Nuancen zu füllen weiß. Dazu überzeugend wie stets Matthias Brandt, und auch Confurius und Gastdorf zeigen stimmige Auftritte.
Spannend sind zudem Erkenntnisse wie jene über sogenannte Vergewaltigungsmythen: Demnach sei das gesellschaftliche „Idealbild“ einer Vergewaltigung ein Angriff in einer dunklen Gasse durch einen Unbekannten. Je weiter eine Vergewaltigung davon abweiche, umso weniger werde der Frau geglaubt, so die hier zitierte, vielfach belegte Forschung zum Thema. Was in der Folge oft zu ungerechten Urteilen führe, zumal in einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation.
Schließlich gilt ja immer auch, ein weiterer juristischer Grundsatz: in dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten. Was im Übrigen kein Hinweis auf das kluge Ende dieses fesselnden Dramas – das im Grunde ein zu Film geronnenes Gerichtsverfahren ist – sein soll!
„Sie sagt. Er sagt“: Am Montag, 26. Februar, um 20.15 im ZDF