Zahl der Suizide in Deutschland erneut gestiegen
Noch immer sterben in Deutschland deutlich mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle, Mord und Totschlag, illegale Drogen und Aids zusammen. Im vergangenen Jahr gab es einen weiteren Anstieg.
Experten fordern stärkeres gesellschaftliches Engagement gegen Suizide. 2023 hätten sich 10.304 Menschen in Deutschland durch Suizid das Leben genommen, teilte das Nationale Suizidpräventionsprogramm (NaSPro) am Wochenende in Kassel mit. Dies waren 184 Fälle mehr als im Jahr zuvor und die höchste Anzahl seit 1995. Die Zahl der Suizide war 2022 erstmals seit acht Jahren wieder über 10.000 gestiegen. Dieser Anstieg setzt sich jetzt fort.
“Die Anzahl der Suizide ist jedoch nicht naturgegeben, sondern eine beeinflussbare Größe, die von vielen Einflüssen abhängt”, erklärte Barbara Schneider vom Suizidpräventionsprogramm. “Und ein Faktor ist die Art und Weise, wie der Suizid verstanden und wie über ihn gesprochen wird.” Sie äußerte sich zum Welttag der Suizidprävention, der am Dienstag begangen wird.
Auch NaSPro-Leiter Reinhard Lindner betonte, “dass bei Suizidalität Hilfe möglich ist und ein Suizid vermeidbar. Dafür braucht es Wissen und aktive Initiativen und Veränderungen auf allen gesellschaftlichen Ebenen.” Es gehe darum, von einer Kultur des Schweigens und des mangelnden Verständnisses zu einer Kultur der Offenheit, des Mitgefühls und der Unterstützung überzugehen. Einzelpersonen, gesellschaftliche Gruppen, Organisationen und Regierungen sollten offene und ehrliche Diskussionen über Suizid und suizidales Verhalten führen. Nötig seien etwa eine sektorübergreifende Politik, die der psychischen Gesundheit Vorrang einräume, den Zugang zur Versorgung verbessere und Unterstützung für die Bedürftigen bereitstelle. Zudem müsse in Forschung investiert werden, um die Komplexität von Suizid besser zu verstehen und Interventionen zu entwickeln.
Auch der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband forderte einen anderen Umgang mit dem Thema Suizid. Es müsse offener über Suizide, ihre Ursachen, Folgen und Vorbeugung gesprochen werden, forderte der Verbandsvorsitzende Winfried Hardinghaus. “Dadurch wären ein großer Teil der Suizide vermeidbar.” Er verwies auf die stark gewachsenen Möglichkeiten von Palliativmedizin und Hospizen, bei schweren Erkrankungen Leiden zu mindern.
Ute Lewitzka, Expertin für Suizidprävention und -forschung, kritisierte, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) immer noch kein Gesetz zur Suizidprävention vorgelegt habe, obwohl das bis Ende Juni geschehen sollte. “Die grundlegende Erkenntnis der Suizidforschung, dass suizidale Menschen im Allgemeinen nicht sterben, sondern ‘so’ nicht mehr leben wollen, muss Richtschnur werden im Umgang mit Menschen mit Verlangen nach assistiertem Suizid.” Der Staat sei hier in der Pflicht, mehr zu tun.
Seit 2003 ist der 10. September ein Tag für die Vermittlung von Informationen über den Suizid und der Trauer um die Verstorbenen. Auch in Deutschland wird auf vielen Veranstaltungen in Städten und Gemeinden auf Unterstützung in suizidalen Krisen aufmerksam gemacht und an die durch Suizid Verstorbenen erinnert.