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Worum es in der Debatte um Brosius-Gersdorf geht

Die Folgen der gescheiterten Wahlen zum Bundesverfassungsgericht beschäftigen weiter die Öffentlichkeit. Höchste Zeit, eine Schneise in den Debatten-Dschungel zu schlagen.

Nach der im Bundestag gescheiterten Wahl dreier Kandidaten für das Bundesverfassungsgericht reißt die Debatte um die von der SPD nominierte Juristin Frauke Brosius-Gersdorf nicht ab. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) beantwortet Fragen zu den strittigen Themen, um die es geht.

Brosius-Gersdorf schrieb 2024 im Abschlussbericht einer von der Ampel-Regierung eingesetzten Kommission zum Thema Abtreibung: “Es gibt gute Gründe dafür, dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt.” In der ZDF-Talkshow von Markus Lanz sagte die Juristin am Dienstagabend: “Ich bin nie eingetreten für eine Legalisierung oder Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs bis zur Geburt.” Falsch sei auch, “dass ich gesagt haben soll oder geschrieben haben soll, dass der Embryo kein Lebensrecht hat”.

Richtig sei vielmehr, dass sie für eine Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in der Frühphase eingetreten sei. “Straffrei ist er schon heute, aber er ist rechtswidrig, und ich bin der Meinung, dass er aus verfassungsrechtlichen Gründen rechtmäßig sein sollte.” Dahinter stehe “ein ganz schwieriger und hochsensibler Güterkonflikt zwischen den Grundrechten des Embryos auf der einen Seite, seinem Lebensrecht, und den Grundrechten der Frau auf der anderen Seite”.

Als entscheidend für die Auflösung dieses Güterkonflikts wertete Brosius-Gersdorf, “dass die Grundrechte des Embryos und die Grundrechte der Frau nicht in allen Phasen der Schwangerschaft gleich zu gewichten waren. Sondern dem Lebensrecht des Embryos habe ich in der Frühphase der Schwangerschaft ein geringeres Gewicht in der Gegenüberstellung mit den Grundrechten der Frau beigemessen und in den späteren Phasen ein höheres.”

Der selbst ernannte Plagiatsgutachter Stefan Weber hatte am vergangenen Donnerstag einen Blog mit der Überschrift “Textparallelen zwischen der Dissertation von Frauke Brosius-Gersdorf und der Habilitationsschrift von Hubertus Gersdorf” veröffentlicht. Am Mittwoch kam eine von den beiden Eheleuten beauftragte Kanzlei in Stuttgart zu dem Schluss, dass der Plagiatsvorwurf unbegründet sei:

“Selbst wenn man annimmt, dass sämtliche aufgezeigten Übereinstimmungen sich nicht erklären lassen, begründen diese weder einen Plagiatsvorwurf noch stellen sie die Wissenschaftlichkeit der Arbeiten sowohl von Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf als auch von Herrn Prof. Dr. Hubertus Gersdorf in Frage. Die hierzu erforderliche Schwelle wird sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht bei Weitem nicht erreicht.”

Die katholische Kirche pocht auf das vollgültige Lebensrecht und die Schutzwürdigkeit des Menschen von Anfang an, also von der Befruchtung der Eizelle an. Menschenwürde gelte auch für das ungeborene Leben und lasse sich nicht graduell abstufen. Ansonsten drohe die Gefahr, dass auch das Leben von behinderten und schwerkranken Menschen als weniger schutzwürdig eingestuft werde. Dies widerspräche dem Artikel 1 des Grundgesetzes (“Die Würde des Menschen ist unantastbar”) und der biblisch begründeten Gottebenbildlichkeit des Menschen.

Die katholische Kirche plädiert dafür, am geltenden Gesetz festzuhalten. Der geltende Strafrechtsparagraf 218 stelle einen mühsam errungenen Kompromiss dar. Demnach sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland rechtswidrig. In den ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft bleibt eine Abtreibung aber straffrei, wenn die Frau sich zuvor beraten lässt. Nicht rechtswidrig ist ein Eingriff aus medizinischen Gründen sowie nach einer Vergewaltigung.

Von ranghohen Vertretern der katholischen Kirche gab es schon vor dem Wahlgang am vergangenen Freitag Kritik an Brosius-Gersdorf. Zuletzt legte der Bamberger Erzbischof Herwig Gössl der Juristin einen Verzicht auf ihre Kandidatur nahe. Zugleich bot er ihr am Mittwoch ein klärendes Gespräch an.

Die Evangelische Kirche in Deutschland hält sich bislang bedeckt. Ein Sprecher teilte auf Anfrage mit, dass man üblicherweise keine Vorschläge für Ämter in der Justiz kommentiere. In der Debatte um den Abtreibungsparagrafen 218 unterstützte die EKD im Dezember einen Vorstoß der alten Bundesregierung zu einer Neuregelung. Die Kirche könne die Grundentscheidung mittragen, den Schwangerschaftsabbruch auf Verlangen der Frau nicht wie bisher im Strafgesetzbuch, sondern in weiten Teilen im Schwangerschaftskonfliktgesetz zu regeln, hieß es damals in einer Stellungnahme des Rats der EKD. Damit vertritt die evangelische Kirche eine liberalere Haltung in der Abtreibungsfrage als die katholische Kirche.

Innerhalb von drei Monaten muss der Bundestag die Wahl nachholen. Andernfalls greift der Ersatzwahlmechanismus. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) möchte das nach eigener Aussage verhindern. “Mein Wunsch wäre, dass wir im Deutschen Bundestag zu Lösungen kommen und dass wir nicht den Ersatzwahlmechanismus auslösen müssen, dass der Bundesrat die Wahl vornimmt, die eigentlich der Bundestag vornehmen müsste”, sagte er am Dienstag. In der Koalition werde über eine Lösung diskutiert. Eine Entscheidung wird nach der parlamentarischen Sommerpause Anfang September erwartet.

Die 16 Richter des Bundesverfassungsgerichts werden je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt. Im Bundestag schlägt der Wahlausschuss die Kandidaten dem Plenum zur Wahl vor. Hier ist dann eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig. Im aktuellen Wahlausschuss, welcher in jeder Legislaturperiode anteilig zur Fraktionsgröße neu besetzt wird, sitzen fünf Unionsabgeordnete, drei von der AfD, zwei von SPD und je ein Abgeordneter von Grünen und Linken.

Aktuell sind beim Verfassungsgericht in Karlsruhe drei Stellen neu zu besetzen. Der Wahlausschuss hatte dem Bundestag die Juristen Günter Spinner, Ann-Katrin Kaufhold sowie Frauke Brosius-Gersdorf zur Wahl vorgeschlagen. Während Spinner auf Vorschlag der Union Kandidat ist, wurden Kaufhold und Brosius-Gersdorf von der SPD nominiert. Sollte der Bundestag innerhalb von drei Monaten keine Einigung erzielen, fällt die Zuständigkeit für die Entscheidung an den Bundesrat.

Das Gericht ist dessen ungeachtet übrigens weiter handlungsfähig. Die drei Richter, deren Amtszeit endet, bleiben im Amt, bis die gewählten Nachfolger übernehmen können.

Nein. “Dass es Vorbehalte gegen Personalvorschläge für Karlsruhe gibt, ist nichts Neues”, sagte der ehemalige Verfassungsrichter Peter Müller unlängst der “Süddeutschen Zeitung”. “Nur: Bisher wurde das im Vorfeld geklärt.” Müller muss es wissen. Als er 2011 nach Karlsruhe gehen sollte, regte sich Kritik an der Personalie. Ein Wechsel aus der aktiven Parteipolitik ins Richteramt könne das Gericht politisch angreifbar machen, hieß es damals. Müller war zuvor Ministerpräsident und Justizminister des Saarlandes.