Wissenschaftler fordert bessere demokratische Streitkultur
Die demokratische Streitkultur ist dem Politikwissenschaftler Oliver Hidalgo zufolge schlechter geworden. Demokratie lebe von der Vielfalt der Positionen, sagte der Forscher von der Universität Passau im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Doch heute mangele es oft daran, den politischen Gegner und seine Meinung grundsätzlich als legitim anzuerkennen. Die USA könne man in dieser Hinsicht als „defekte Demokratie“ bezeichnen.
Polarisierung ist nach Hidalgo zunächst mal „völlig normal“: „Demokratie besteht aus Pluralität, aus alternativen Möglichkeiten“, sagte der Lehrstuhlinhaber dem epd. Demokratie bezweifele nicht, dass es Tatsachen gebe. Doch sie selbst finde dort statt, wo über begründete Meinungen diskutiert und gestritten wird: „wo nicht von vornherein feststeht, was richtig und was falsch ist“. Die demokratische Idee sei, dass man Verfahren habe, um trotz unterschiedlicher Positionen zu Kompromissen und Entscheidungen zu kommen. Sei das nicht mehr gegeben, werde Polarisierung destruktiv.
Zwar zeige das Prozedere um die zerbrochene Ampelregierung, dass die Institutionen in Deutschland funktionieren. Allerdings mache das Ende der Ampel deutlich, dass es an der politischen Fähigkeit fehle, Probleme zu lösen und Konsens zu finden. Dabei stecke die Gesellschaft in einer gefühlten „Polikrise“: „Obwohl vieles gar nicht so schlecht ist, geht scheinbar alles den Bach runter.“ Diese gelte es, politisch beherrschbar zu machen.
Früher habe es bei politischen Auseinandersetzungen oft gekracht, und am Ende stand trotzdem oft eine Einigung. Heute hingegen „herrschen Empfindlichkeiten vor, man will niemanden brüskieren“, sagte Hidalgo. Doch politische Entscheidungen seien manchmal unbequem. Konstruktiver Streit solle auch dazu führen, „dass jemand versucht, etwas gegen Widerstände durchzubringen“. Dem Forscher zufolge sollten Politiker wie Bürger versuchen, weniger stark in Identitäten und Gruppenzugehörigkeiten zu denken, „sondern für unsere eigene Meinung einzustehen“.
Hidalgo spricht zu diesem Thema bei einer Ethiktagung der evangelischen bayerischen Landeskirche an diesem Freitag (15.11.) in München. (00/3474/14.11.2024)