Wie geht es weiter mit den Drusen in Syrien? Darum drehen sich die Gespräche in Majdal Schams im von Israel besetzten Golan. Die Gewalt gegen Glaubensbrüder im syrischen Suweida sorgt für Angst und Wut.
In der südwestsyrischen Provinz Suweida kommt es seit Mitte Juli zu heftiger Gewalt zwischen Beduinen, die von syrischen Regierungstruppen unterstützt werden, und Drusen. In Majdal Schams, dem größten von vier drusischen Orten im von Israel besetzten Golan, ist man schockiert. Für das, was mit Glaubensangehörigen jenseits der Grenze passiert, fallen Vergleiche mit den Hamas-Massakern des 7. Oktober, sogar mit der Schoah. Mehr als 1.300 Menschen sind laut der in London ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in Suweida getötet worden, zwei Drittel von ihnen Drusen. 120.000 seien auf der Flucht.
Auch Majdal Schams kam in die Schlagzeilen. Aus der Kleinstadt von 11.000 Einwohnern durchbrachen Hunderte den Grenzzaun und suchten auf der anderen Seite Verwandte, die sie teils seit Jahrzehnten nicht gesehen hatten. Die israelische Armee, anfangs überrascht, ließ sie gewähren. Sie habe sogar Gruppen für mehrstündige Besuche begleitet, erzählt ein junger Mann.
Von syrischer Seite wiederum kamen Drusen nach Majdal Schams. “Ein Freund, mit dem ich zusammen in Quneitra zur Schule gegangen bin, rief mich an und sagte, ich bin hier, komm, ich hab Hunger”, berichtet Saker Abusaleh, Inhaber eines kleinen Schreibwarenladens in Majdal Schams. Seit 1967 hätten sie sich nicht mehr gesehen. “Das sind unbeschreibliche Gefühle!”
Nicht nur aus Suweida, sondern auch aus dem 60 Kilometer entfernten Dscharamana bei Damaskus machten sich den Angaben zufolge viele Familien auf zur Grenze; die einen auf der Flucht vor der Gewalt, andere in der Hoffnung, die Familie auf der anderen Seite zu sehen. Längst ist der Zaun wieder zu. Etwa 35 Familien sitzen jetzt auf syrischer Seite fest, sagt ein Bewohner in Majdal Schams. Die Straße zurück sei dicht. “Freies Suweida” und “Wir sind alle Suweida” hat jemand an die Betonblöcke vor dem Grenzzaun gesprüht.
Majdal Schams ist für Israel der nordöstlichste Außenposten. Für den Rest der Welt mit Ausnahme der USA ist es von Israel besetztes syrisches Gebiet. Auch die Mehrheit der rund 25.000 Golan-Drusen hat ihre syrische Staatsbürgerschaft behalten. Anders als ihre 122.000 Glaubensbrüder mit israelischem Pass im nordisraelischen Galiläa und dem Karmelgebirge dienen sie auch nicht in der israelischen Armee.
In den vergangenen Jahren veränderte sich indessen die Gemeinschaft der Drusen im Golan und ihr Verhältnis zu Israel. Nadih Halabi von einer kleinen Menschenrechtsorganisation in Majdal Schams verweist darauf, dass junge Leute aus seinem Ort nicht mehr zum Studieren nach Damaskus können, seit in Syrien der Bürgerkrieg ausbrach. Damit blieben auch Erfahrungen aus, die die Studenten mitbrachten und die Majdal Schams nach Halabis Worten in eine weltoffene, relativ liberale Oase verwandelten. Heute wollten sie sich “mehr und mehr in das israelische System integrieren”, nicht unbedingt durch Armeedienst, aber etwa durch die israelische Staatsbürgerschaft.
Die Gewalt in Suweida scheint diesen Prozess beschleunigt zu haben. “Wenn man mich vor zehn Tagen gefragt hätte, wer ich bin, ich hätte geantwortet: Syrer”, sagt Nadih Halabi. Jetzt sei von dem Syrien, an das er und andere glaubten und mit dem sie sich identifizierten, nichts mehr übrig geblieben, so der 54-jährige drusische Aktivist. Vor Jahren verlor er 14 Familienmitglieder, als Terrortruppen des “Islamische Staates” Suweida überfielen.
Und jetzt wurden wieder Angehörige getötet. “Ich kenne die genaue Zahl nicht”, sagt Halabi und ergänzt, dass man “das Ausmaß der Katastrophe noch nicht abschätzen” könne. Ob Syrien jemals wieder ein Staat für all seine Minderheiten sein könne, hänge von der sunnitischen Mehrheit ab. Wenn diese sich nicht für einen Regimewechsel einsetze, werde Syrien “zu einem zweiten Afghanistan werden”.
Entsetzen und Wut über die Gewalt in Suweida sind spürbar am südlichen Ausläufer des Hermon. Videos und Bilder entsetzlicher Brutalität machen die Runde. Die Drusen seien ein friedliebendes Volk, die niemandem Schaden zufügten – es sei denn, man zwinge sie zur Selbstverteidigung, heißt es hier. Groß ist auch der Rückhalt für den israelischen Einsatz für Suweidas Drusen. Nur an der Frage der Militärschläge scheiden sich die Geister.
In einem Café plädiert ein junger Mann für humanitäre Hilfe und Geld, aber gegen Israels bewaffnetes Engagement in Syrien. Ein anderer glaubt hingegen: “Ohne die israelische Armee wären längst keine Drusen mehr da.” Und während der Schreibwarenhändler Abusaleh sich fest überzeugt gibt, dass im syrischen Suweida auch dann keiner der Glaubensbrüder sein Zuhause verließe, wenn Israel die Grenze öffnete, widerspricht der Aktivist Nabih Halabi: Würde Israel sie lassen, kämen Drusen aus Syrien zu Tausenden.
Als Syrer fühlt sich seit der eskalierten Gewalt in Suweida kaum noch jemand in Majdal Schams. Mehr noch: Was in Syrien passiere, sei ein Weckruf, sagt Amir Alwali, der im Nachbarort Buqata mit einer örtlichen Pfadfindergruppe drusische Fahnen an Passanten verteilt. “Die Botschaft an uns, an die neue Generation, lautet: Alle sollten in Israel Armeedienst leisten, um sich selbst schützen zu können.”
Ihm, Alwali, geht die israelische Militärintervention im Nachbarland längst nicht weit genug. Mindestens 40 bis 50 Kilometer tief müsse Israel das Gebiet entwaffnen, “reingehen wie in den Gazastreifen”. Sonst, mein Alwali, könnte das nächste Ziel der Gewalt Tel Aviv heißen: “An unserer Grenze warten eine Million Terroristen nur auf die Gelegenheit.”