„Wir wünschen uns keine Gewalt, nur Liebe“

Zum Tag der Kriminalitätsopfer feiert die Opferschutzorganisation „Weißer Ring“ jährlich einen Gottesdienst. Zum Vorbereitungsteam gehört auch ein Ehepaar, das nach dem gewaltsamer Tod seiner Tochter eine Stiftung gegründet hat.

Kristina Erichsen-Kruse am Redepult der Hauptkirche St. Jakobi. Sie ist Landesvorsitzende des Weißen Rings Hamburg.
Kristina Erichsen-Kruse am Redepult der Hauptkirche St. Jakobi. Sie ist Landesvorsitzende des Weißen Rings Hamburg.Weißer Ring/Ulla Schmeling

Hamburg. Eigentlich würden die Hellweges gern die Kanzel betreten. Sprechen, zur Gottesdienstgemeinde. Aber das fällt ihnen schwer. Darum haben sie organisatorische Tätigkeiten für den Gottesdienst zum Tag der Kriminalitätsopfer übernommen. Jährlich wird dieser in der Hamburger Hauptkirche St. Jacobi gefeiert.

Astrid und Niels Hellwege haben 2006 ihre Tochter Anna bei einem Gewaltverbrechen verloren. 2006 wurde sie im Alter von 29 Jahren von ihrem Lebensgefährten ermordet. „Wenige Tage nach ihrem Tod läutete es an unserer Haustür“, erinnert sich Niels Hellwege. Es war Kristina Erichsen-Kruse, vom Weißen Ring Hamburg. Sie fragte, ob sie irgendwie helfen könne. Überreichte den Hellweges ein Alpenveilchen. „Seitdem sind wir richtig gut befreundet“, sagt Niels Hellwege.
1700 Euro bekamen sie damals „vom Staat“ überwiesen, für die Bestattung. Das war, zusammen mit Spenden aus dem Freundeskreis des Ehepaars, das Gründungskapital für ihre Stiftung. „Anna-Hellwege-Stiftung“ heißt sie. „In Gedenken an die Verstorbene sowie unter Berücksichtigung ihres Schicksals engagiert sich die Stiftung für Völkerverständigung und Jugendhilfe“, lautet ihr Zweck offiziell. Anders ausgedrückt: „Gegen Gewalt, für die Liebe“, so der frühere Notar. „Das musste fürs Finanzamt umformuliert werden.“

Stiftung ist eine Reaktion der Eltern auf das Unbegreifliche

Sie schließen sich aber auch Gruppen an, wie etwa dem Weißen Ring. „Ich war als Jurist im Strafrecht tätig und habe dadurch schon früher den Weißen Ring kennengelernt“, sagt Niels Hellwege. Er und seine Frau schätzen die Organisation sehr, empfehlen sie wärmstens und möchten die Arbeit am liebsten noch bekannter machen. Nur das längere Zusammensein mit Menschen, die ebenfalls Gewalt und Kriminalität erfahren haben, sei ihnen „too much“, zu viel. „Wir wollen es uns nicht antun, unsere Trauer auch noch mit der Trauer anderer zuzuschütten“, sagt Niels Hellwege. Halt gibt ihnen hingegen ihr Freundeskreis.

Ein anderer Ort, an dem die Hellweges so sein können, wie sie sind, ist die Kirche. Zunächst besuchten sie den Gottesdienst des Vereins für verwaiste Eltern und Geschwister im Hamburger Michel. „Das war ein sehr schöner Gottesdienst, aber der Michel war voll“, so Niels Hellwege. So voll, dass nur direkte Verwandtschaft der verstorbenen Kinder daran teilnehmen durfte – nicht jedoch die Bekannten, der Freundeskreis der Hinterbliebenen. „Aber wir haben sehr viele Bekannte.“ Eine Lösung: der Gottesdienst zum Tag der Kriminalitätsopfer vom Weißen Ring in der Hauptkirche St. Jakobi. Jährlich findet er am 22. März statt. Jährlich gestaltet ihn die Opferschutz­organisation mit Bischöfin Kirsten Fehrs. Auch die Hamburger Politik nimmt daran teil.

Den Opfern eine Stimme geben

2022 steht er unter dem Motto „Den Opfern eine Stimme geben. Für eine Gesellschaft gegen Gewalt.“ „Wir wollen Menschen ermutigen, sich gegen Krieg und Gewalt einzusetzen – gerade vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine“, sagt Kristina Erichsen-Kruse. Auch Niels Hellwege sagt: „Wir wünschen uns keine Gewalt, nur Liebe – keinen Krieg in der Ukraine. Das ist das, was man verbreiten muss. In der Hoffnung, dass unsere Welt eine bessere wird“.
Für das Ehepaar bedeutet der Gottesdienst sehr viel. Sie treffen dafür im Vorbereitungsteam Jahr für Jahr Bischöfin Kirsten Fehrs. Sprechen über Themen, die im Zentrum des Gottesdienstes stehen. „Wir haben uns angewöhnt, jedes Jahr für die Gottesdienstbesucher weiße Kerzen mit roten Herzen zu bestücken. Sie können sie mit nach Hause nehmen und sich daran erwärmen“, sagt Niels Hellwege. Seine Frau Astrid übernehme zudem als Grafikerin häufig die Gestaltung von Materialien zum Gottesdienst. Nur öffentlich im Gottesdienst sprechen, das können die Hellweges nicht.

Der Gottesdienst zum Tag der Kriminalitätsopfer wird am Dienstag, 22. März, um 17 Uhr in der Hauptkirche St. Jakobi gefeiert. Der Weiße Ring hilft denen, die Opfer von Kriminalität und Gewalt geworden sind. Dazu gibt das bundesweitere Opfer-Telefon 116 006, Onlineberatung sowie Termine in den örtlichen Anlaufstellen. Weitere Infos gibt es auf weisser-ring.de. Sie sind dort auch in leichter Sprache und Gebärdensprache verfügbar.