„Wir werden dieses Jahr noch einige Klinik-Insolvenzen erleben“

Die Krankenhäuser nicht nur in Bayern ächzen unter dem Kostendruck: Die Personal- und Sachkosten laufen aus dem Ruder, der Fachkräftemangel setzt ihnen zu – und die Refinanzierung reicht längst nicht mehr aus. Vor allem freigemeinnützige Träger beklagen, dass sie ihre Defizite selbst stemmen müssen, während kommunale Häuser aus Steuermitteln unterstützt werden. Wie dramatisch ist die Lage für Kliniken wirklich? Andreas Schmid ist außerplanmäßiger Professor an der Uni Bayreuth für Gesundheitsmanagement und -ökonomie. Er erläutert, wieso freigemeinnützige Träger und kleine Kliniken besonders gefährdet sind.

epd: Herr Schmid, die Träger von Krankenhäusern klagen seit vielen Jahren, dass ihr Bereich chronisch unterfinanziert ist. Stimmt das, oder können Klinikbetreiber einfach nicht mit Geld umgehen?

Schmid: Wir haben derzeit tatsächlich so etwas wie einen „perfekten Sturm“: Es kommen momentan viele problematische Faktoren zusammen – und die meisten können die Kliniken selbst kaum oder gar nicht direkt beeinflussen. Bei den Betriebskosten laufen Sach- und Personalkosten wegen Inflation, Tarifsteigerungen und Fachkräftemangel aus dem Ruder. Die Lücke zwischen der Einnahmen- und Ausgabenseite hat inzwischen 10 bis 15 Prozent erreicht. Außerdem gibt es einen massiven Investitionsstau, der angegangen werden muss.

epd: Betrifft diese Situation in dieser Schärfe alle Krankenhausträger gleichermaßen – oder gibt es größere Unterschiede zwischen öffentlichen, freigemeinnützigen und privaten Betreibern?

Schmid: Egal bei welcher Trägerkonstellation: Alle Krankenhäuser kämpfen gerade mit den Kosten. Bis vor einigen Jahren konnten private Klinikbetreiber beispielsweise noch Gewinnmargen von bis zu 15 Prozent realisieren – heute ist schon eine schwarze Null ein Erfolg. Aber auch staatliche, kommunale und freigemeinnützige Träger müssen Gewinne erwirtschaften, weil sie sonst nicht nachhaltig überlebensfähig sind. Bei der stetigen Weiterentwicklung der Medizin sind stetige Investitionen unabdingbar.

epd: Die freigemeinnützigen Träger – also die Wohlfahrtsverbände – beklagen eine Ungleichbehandlung, weil die Defizite in öffentlich getragenen Kliniken durch Steuermittel aufgefangen werden.

Schmid: Es ist zwar richtig, dass etliche Kommunen noch die Möglichkeit haben, über ihren Haushalt Defizite in den kommunalen Kliniken auszugleichen. Diese Möglichkeiten haben Kliniken der freien Wohlfahrtspflege nicht. Man muss aber auch sagen, dass viele Landkreise und kreisfreie Städte inzwischen an ihre finanziellen Grenzen stoßen. Neben der regelmäßigen Schließung von Lücken in der Finanzierung von Investitionen ist das Grundproblem die derzeit mangelhafte Finanzierung der Betriebskosten. Dafür ist die Bundesebene zuständig.

epd: Trotzdem hat man aktuell den Eindruck, dass vor allem freigemeinnützige Träger laut klagen – oder auch ganz akut in Bedrängnis geraten. Täuscht dieser Eindruck denn?

Schmid: Zumindest ist er nicht ganz falsch. Das liegt aber auch an der Ausrichtung der Träger. Denn: Freigemeinnützige Träger haben eine stärkere Gemeinwohlorientierung und haben sich mehr und länger auch in Bereichen engagiert, die gewinnorientierte private Träger mangels Aussicht auf einen wirtschaftlichen Betrieb schon längst aufgegeben hätten. Dies ließ sich in den letzten Jahren beispielsweise häufig in der Geburtshilfe beobachten. Wichtig ist ferner, dass freigemeinnützige Träger häufig nur begrenzt Defizite im Klinikbetrieb ausgleichen können, da sie sonst ihre anderen gemeinwohlorientierten Aktivitäten gefährden würden. Ihnen sind hier enge Grenzen auferlegt.

epd: Aber man betreibt Kliniken ja nicht zum Selbstzweck, sondern weil es einen Bedarf dafür gibt. Oder sieht man das als Außenstehender falsch? Haben wir insgesamt also zu viele Kliniken?

Schmid: Nein, nicht als Selbstzweck, aber vielleicht auf nicht mehr aktuellen Grundlagen. In der Tendenz ist es tatsächlich so, dass wir zu viele kleine Krankenhäuser haben. Wir brauchen angesichts der Spezialisierung und mehr Interdisziplinarität – also der Zusammenarbeit verschiedener Fachrichtungen – in der Medizin einerseits und dem Fachkräftemangel andererseits einen Strukturwandel. In manchen Bundesländern wurde das schon mehr oder weniger freiwillig angegangen und vollzogen, in Bayern haben wir sicherlich noch Nachholbedarf.

epd: Es gibt freigemeinnützige Krankenhausträger, die werfen – zumindest hinter vorgehaltener Hand – der Bundespolitik vor, „kalte Enteignungen“ billigend in Kauf zu nehmen.

Schmid: Ich befürchte, dass wir dieses Jahr noch eine Reihe an Insolvenzen im Klinikbereich erleben werden, auch und gerade in diesem Bereich. Denn die politischen Maßnahmen, die jetzt eingeleitet werden, brauchen eine gewisse Zeit, um Wirkung zu entfalten. Es wird also auf alle Fälle zumindest in Teilen einen „kalten Strukturwandel“ geben, wobei bei den wenigsten Insolvenzen tatsächlich der Krankenhausbetrieb eingestellt werden dürfte. Grundsätzlich sind Kliniken freigemeinnütziger Träger aus den bereits genannten Gründen gefährdeter – aber wir brauchen den Dreiklang öffentlich, freigemeinnützig und privat bei den Kliniken weiterhin.

epd: Sie sagen, der Klinikbetrieb wird auch bei einer Insolvenz eher nicht eingestellt. Wozu dann die Insolvenz? Kann man den Klinikbetrieb über eine Insolvenz neu – und damit auch profitabler – aufstellen?

Schmid: Das Problem ist, dass eine Insolvenz selten die grundlegenden Probleme einer wirtschaftlichen Schieflage beseitigt – außer, die kam durch grobe Management-Fehler zustande. Natürlich kann man mit der Insolvenz einen kleinen Teil bisheriger Verbindlichkeiten ablegen und eventuell einen Sanierungstarifvertrag aushandeln. Aber zu niedrige Patientenzahlen, die Kostenschere und den Fachkräftemangel löst das nicht. Letztlich hat eine Insolvenz nur einen einzigen Vorteil: Man gewinnt etwas Zeit, bis eine mögliche Krankenhausreform vielleicht doch greift.

epd: Es heißt immer mal wieder: Dieses oder jedes Krankenhaus sei „zu klein“, um ohne Defizit betrieben werden zu können. Gibt es denn irgendwelche „Schwellenwerte“ bei der Bettengröße?

Schmid: Ja und nein. Man kann das kaum verallgemeinern. Denn in manchen Regionen sind kleinere Kliniken durchaus konkurrenzfähig und rentabel zu betreiben, in anderen hingegen nicht. Als Orientierungspunkt gilt: Ein Krankenhaus mit weniger als 250 Betten entspricht unter den aktuellen Rahmenbedingungen nicht mehr den Anforderungen an die Wirtschaftlichkeit – und auch nicht an das nötige medizinische Leistungsspektrum. Jedenfalls dann nicht, wenn es als Alleinkämpfer unterwegs ist. Eingegliedert in Klinikverbünde schaut es je nach Konstellation möglicherweise etwas anders aus. Das wirtschaftliche Optimum liegt vermutlich jenseits von 600 Betten.

epd: Die Krankenhausplanung ist Ländersache. Müsste dann also die Staatsregierung Standorte streichen und den Gegenwind aus der Region aushalten?

Schmid: Ja, das wäre wichtig. Ich glaube allerdings auch, dass man im Gesundheitsministerium die Zeichen der Zeit bei diesem Thema erkannt hat. Aktuell sind mehrere Strukturgutachten in Arbeit, die genau das zum Ziel haben, wobei am Ende nicht zwingend eine Schließung, sondern auch eine Umwandlung oder Umwidmung eines Krankenhausstandortes – zum Beispiel in einen „sektorenübergreifenden Versorger“ – stehen kann. Und man muss am Ende auch die verantwortlichen Lokalpolitiker unterstützen, egal von welcher Partei, denn die müssen diese Entscheidung umsetzen. Bislang haben nahezu alle Parteien bei der Klinikversorgung falsche Hoffnungen geweckt. Ein kleines Krankenhaus vor Ort ist eben nicht immer die beste Lösung.

epd: Das heißt, man wird sich auch in Bayern mittelfristig damit abfinden müssen, dass die Wege zum Krankenhaus auf jeden Fall länger werden?

Schmid: Ich denke, dass das eher kurz- statt mittelfristig passieren wird. Denn man muss sich bei der momentanen Krankenhausreform auch fragen, was kleine Einrichtungen am geforderten Leistungsspektrum überhaupt imstande sind, vorhalten zu können – trotz hoch qualifiziertem und engagiertem Personal. Es liegt auch an der kleineren Zahl der verschiedenen Fachrichtungen, die in einer kleineren Klinik angesiedelt sein können, sowie den strukturellen Voraussetzungen. Klar ist: Das betrifft auf keinen Fall nur den ländlichen Raum, sondern auch größere Städte.

epd: Wo gibt es in Bayern Regionen, in denen Sie eine Überversorgung sehen? Und wo gibt es vielleicht auch eine Unterversorgung, die man im Rahmen der Klinikreform angehen muss?

Schmid: Im bayerischen Voralpenland und auch im Bayerischen Wald ist die Krankenhauslandschaft eher ausgedünnt. Dort bräuchte es eher eine Stärkung einzelner Standorte hin zu größeren Klinik-Komplexen. Im Ballungsraum München und Nürnberg dagegen haben wir bis heute eine Vielzahl auch kleiner Krankenhäuser. Und natürlich gibt es noch Überbleibsel aus der Gebietsreform, bei der etliche Altlandkreise an ihren Klinikstandorten festgehalten haben. Das wird keinen Bestand haben können.

epd: Der Bund ist für die Betriebskosten zuständig, die Länder für die Investitionskosten. Die Staatsregierung rühmt sich, hier bundesweit spitze zu sein – aber etliche Klinikbetreiber sehen das anders. Was stimmt nun?

Schmid: Im Vergleich zu anderen Bundesländern ist Bayern bei den Investitionskosten tatsächlich sehr gut aufgestellt. Aber man darf sich auch nicht völlig blenden lassen von der sogenannten Krankenhaus-Milliarde der Staatsregierung. Denn wenn man sich die Baukostenentwicklung der vergangenen fünf Jahre anschaut, dann wird ein erheblicher Teil des erhöhten Investitionskosten-Budgets davon wieder aufgefressen. Es gibt im Klinikbereich einfach unglaublich viel zu tun – für den Bund, die Länder und auch die Kommunen. (00/0603/23.02.2024)