“Wir sind nur Gast auf Erden” oder “Highway to hell”?

Angehörige wünschen sich für kirchliche Beerdigungen zuweilen Musik, die nichts mit Gott, sondern mit dem Verstorbenen oder dem Tod zu tun hat. “Tears in Heaven” ist vielen näher als ein Marienlied. Ein Konflikt?

Stephan Pörtner beerdigt seit mehr als 30 Jahren. “Es werden immer mehr weltliche Lieder gewünscht, und es kommt mehr vom Band”, beschreibt der katholische Priester aus Düsseldorf Trends bei der musikalischen Gestaltung. Bei den meisten Beerdigungen sei ein Organist dabei: “Die drücken oft mehr die Computertasten als die Orgeltasten.” Das kann skurrile Blüten treiben – wenn die Trauernden sich ein klassisches Instrumentalstück wünschen, aber lieber aus Lautsprechern als von der Orgel.

Auch die evangelische Pfarrerin Eva Manderla kennt das: Weniger Live-Musik, mehr individuelle Wünsche. Und: Es werde immer weniger mitgesungen. “Ich bin da schmerzfrei, weil ich selbst singen kann und dann versuche, andere mitzuziehen.” Nicht ganz schmerzfrei sei sie bei Musikwünschen, die fern der christlichen Botschaft liegen. “‘Highway to hell’ gibt es bei mir nicht, auch wenn das schon gewünscht wurde.” Fast alle Trauernden hätten klare Musikwünsche. Musik ist wichtiger Bestandteil von (Trauer)Feiern, wirkt auf Körper und Seele. Sie kann trösten genauso wie Brücken zum Verstorbenen bauen.

Marcell Feldberg gibt dazu Weiterbildungen für Bestatterinnen und Bestatter. “Es geht darum zu erkennen, dass Musik eine mehrfache Bedeutung hat. Eine emotionale Bedeutung, eine inhaltliche Bedeutung und eine rituelle, liturgische Bedeutung”, sagt der Kirchenmusiker aus Willich. Er arbeitet außerdem wissenschaftlich bei der Forschungsstelle für Sepulkralmusik, also Trauermusik, der Düsseldorfer Robert Schumann Hochschule.

“Musik kann Emotionen kanalisieren und strukturieren”, so der Fachmann. Der Tod eines lieben Menschen gehöre zu den existenziellsten Erfahrungen: “Was machen wir da mit unseren Emotionen?” Feldberg blickt mit Sorge darauf, dass immer weniger gesungen wird. “Wir berauben uns da der Möglichkeit, unsere Trauer selbst musikalisch auszudrücken und so unsere tiefsten Gefühle unmittelbar zu artikulieren”. Die musikalische Gestaltung von Trauerfeiern wandle sich immer mehr von einer Ritualisierung zur Individualisierung.

Manderla beerdigt seit 1987. Früher sei es unbestritten gewesen, dass bei Trauergottesdiensten Lieder aus dem Gesangbuch genommen worden seien, zum Beispiel “Wer nur den lieben Gott lässt walten” oder “Ach bleib mit deiner Gnade”. Seit Anfang des neuen Jahrtausends sieht sie Veränderungen. Diese führt sie nicht nur auf weniger Kirchenbindung, sondern auch auf Veränderungen bei den Orten von Trauerfeiern zurück.

Früher seien Trauergottesdienste entweder in der Kirche oder in der Friedhofshalle abgehalten worden. “Anfang der 2000er begann es hier in der Region, dass die Bestattungsinstitute eigene Räume für Trauerfeiern anboten, auch Bestattungswälder wurden mehr gefragt. Ein ganz anderes Ambiente als in der Kirche oder Friedhofshalle”, sagt die Pfarrerin aus dem zu Bergisch-Gladbach gehörenden Dorf Schildgen.

Manderla ist es wichtig, dass Trauergottesdienste in Würde ablaufen. Sie selbst möchte bei Bestattungen nur Kirchenlieder oder Instrumentalmusik, insbesondere, wenn sie in der Kirche stattfinden. Mit Alternativen kommt sie Angehörigen dann bei deren Vorstellungen entgegen. “Wenn zum Beispiel das Lieblingslied des Verstorbenen gewünscht wird, dann können wir es kurz vor der Trauerfeier spielen, dann kurze Stille, dann beginne ich mit der Trauerfeier.” Es sei “immer eine Gratwanderung”. Einerseits: “Es ist euer Trauergottesdienst, sucht euch aus, was ihr möchtet”. Andererseits “ist es ein Gottesdienst, den ich verantworten muss. Es muss eine christliche Aussagekraft bleiben.”

Außerdem macht sie die Angehörigen im Vorgespräch darauf aufmerksam, dass ein Lieblingslied durch das Spielen im Rahmen einer Trauerfeier eine neue Bedeutung bekommt, dann mit der Bestattung möglicherweise dauerhaft verknüpft wird. “Trauernde müssen sich selbst fragen, ob sie dazu bereit sind.”

Auf den Wandel der Trauermusik hat die evangelische Kirche mit einem neueren Liederbuch für Bestattungen reagiert. “Dein Licht sehen” soll dem Trend entgegentreten, dass immer weniger gesungen wird. Es bietet bekannte Melodien mit neuen Texten in moderner Sprache. Und sammelt Volksmusik und Kinderlieder, Choräle und neues geistliches Liedgut bis hin zu Popsongs. Zwischen Taize-Liedern und “Maria, breit den Mantel aus” stehen auch “Ein Stern, der deinen Namen trägt”, Udo Lindenbergs “Hinterm Horizont geht’s weiter” und “You’ll never walk alone”. Zum Einsingen gibt es die passende Playlist.

Eine nicht-repräsentative Umfrage der Universität Osnabrück kam 2019 zu dem Ergebnis, dass bei rund einem Drittel der christlichen Bestattungen weltliche Musik erklingt. Marcell Feldberg plädiert in seinen Kursen für Bestatter dafür, sich erstmal bei jeder Musik damit auseinanderzusetzen, was sie über Tod und Leben aussagt, und dann zu bewerten, ob sie von ihrer Form und Wirkung passend ist. Außerdem spielten Rahmen und Ort eine Rolle.

Pörtner hält viele Beerdigungen mit Lieblingsliedern von Verstorbenen und weltlicher Trauermusik. Die Hitliste führe aber dennoch ein christliches Lied an: “Von guten Mächten”, geschrieben im Angesicht des Todes vom evangelischen Theologen und NS-Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer. Auch bei Manderla wird Bonhoeffers Lied am häufigsten ausgewählt.

Beide Seelsorger sind sich einig, dass sich Beerdigungen und auch die Trauermusik stark zwischen Großstadt und Dorf unterscheiden. Pörtner, der vor seiner Stelle in der Landeshauptstadt jahrelang Pfarrer in einem katholisch geprägten Dorf war, vergleicht: Dort habe er bei gut der Hälfte der Beerdigungen vorher einen separaten Gottesdienst in der Kirche gefeiert. “Das ist in Düsseldorf die absolute Ausnahme. Da dauern Trauerfeiern 20 Minuten in der Friedhofskapelle. Das heißt: Ein Lied am Anfang, eins am Schluss.”

“Heute war es am Ende ‘I did it my way'”, sagt Pörtner. Angehörige wünschten außerdem gerne Andreas Gabaliers “Einmal sehen wir uns wieder” oder – insbesondere Kölner – “Niemals geht man so ganz” von Trude Herr. Oft werde die Musik im Vorfeld mit dem Bestatter geregelt, der Pfarrer habe dann wenig Spielräume. “Ich kann mit vielem leben, wenn das Herz dran hängt”, sagt Pörtner. Ein beliebtes geistliches Lied sei “Möge die Straße uns zusammenführen”. “Es gibt auch ab und an noch mal klassischere Wünsche, zum Beispiel ein Marienlied oder ‘So nimm denn meine Hände'”.

Was sind die persönlichen Favoriten der beiden Seelsorger? Pfarrerin Manderla nennt “Bleib bei mir, Herr”: “Text und Melodie sind sehr schön, und es ist ein Abendlied – für den Abend des Lebens.” Pfarrer Pörtner mag “Großer Gott” – und insgesamt gerade in der Trauer Mut zu Liedern, aus denen die Botschaft der Auferstehung spricht.