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Wir pflügen und wir streuen. Doch es gelingt nicht immer

Die Hälfte der Fläche Deutschlands wird landwirtschaftlich genutzt. Aber die Betriebe blicken in eine unsichere Zukunft. Warum manche Bauernhöfe die Herausforderung trotzdem annehmen.

Carolin und Felix Sackenreuter: Auf ihrem „Naturhof Sackenreuter“ stellen sie Milchprodukte her – vom Futteranbau über die Kuhhaltung bis zum Direktverkauf
Carolin und Felix Sackenreuter: Auf ihrem „Naturhof Sackenreuter“ stellen sie Milchprodukte her – vom Futteranbau über die Kuhhaltung bis zum DirektverkaufGerd-Matthias Hoeffchen

Huch, ist die glitschig. Genüsslich schiebt Carola ihre kochlöffellange Zunge über das Handgelenk des Besuchers. Rau. Warm. Kribbelt ein bisschen. Nicht unangenehm – nach dem ersten Schrecken. Immerhin scheint eine Menge Zärtlichkeit darinzustecken.

Carola ist eine von 75 Milchkühen auf dem Naturhof Sackenreuter, einem landwirtschaftlichen Betrieb im fränkischen Brundorf bei Rothenburg ob der Tauber. Der Kuhstall ist groß wie eine Reithalle, lichtdurchflutet. Offene Tore sorgen für frische Luft. Keine Spur von Muffigkeit.

„Wir wollen unsere Tiere verwöhnen“, sagt Felix Sackenreuter. Der 32-jährige Landwirt und seine Frau Carolin, 30, betreiben den Hof. „Uns ist wichtig, dass die Mädels sich wohlfühlen“, erklärt Felix. Er zeigt auf die Liegeflächen aus Stroh, den großen Auslauf. Besonders beliebt scheint der Wellness-Bereich zu sein: Kratzbürsten, an denen die Kuh-Damen sich schubbern können und dabei offenkundig größtes Wohlbehagen empfinden. „Wir füttern unsere Mädels mit gentechnikfreiem Futter, das wir auf unseren eigenen Wiesen und Feldern anbauen“, so Felix Sackenreuter. Jede der 75 Kühe bekommt einen Namen. Kerstin, Prima. Oder eben Carola. „Uns ist der direkte Kontakt zu jedem einzelnen Tier wichtig.“

„Die Tiere sollen sich bei uns wohl fühlen!“

Felix hat den Hof von seinen Eltern übernommen. Das ist in Deutschland seit Generationen so üblich. Allerdings fällt es immer schwerer, den Nachwuchs für die Nachfolge zu begeistern. Noch sind 80 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe in Familienhand. Doch bei mehr als der Hälfte heißt es mittlerweile: Nachfolge ungeklärt. Gründe, warum Söhne und Töchter nicht weitermachen wollen, sind die harte Arbeit, zu viel Bürokratie, das Fehlen von Freizeit und Urlaub. Aber auch die unsichere Zukunft der Landwirtschaft.

Und so geben immer mehr Höfe auf, verpachten ihre Felder. Meist an andere Landwirte. Die Folge: immer weniger Betriebe, die immer größer werden. Gab es 2001 nach Angaben des Bundesinformationszentrums Landwirtschaft noch 448 000 landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland, waren es 2023 nur noch 225 000. Betrug ihre durchschnittliche Größe 2000 noch 53 Hektar, waren es 2020 bereits 63 Hektar.

Viele Höfe verpachten ihre Felder an Betreiber erneuerbarer Energien. „Ich kann das verstehen“, räumt Felix Sackenreuter ein. „Verpachtet man an einen Landwirt, bekommt man pro Hektar 400 Euro im Jahr.“ Ein Hektar sind etwa anderthalb Fußballfelder. „Betreiber von Photovoltaik zahlen dir 4000 Euro.“ Felix will seine Felder behalten. Damit er seinen Kühen erstklassiges Futter bieten kann.

Füttern, melken, misten: Vieles läuft vollautomatisch

Die stehen mittlerweile Schlange: Prima, Kerstin, Carola und andere der „Mädels“. Ihr Euter drückt, die Milch will raus. Und so gehen sie von ganz alleine zur Melkmaschine. „Die läuft vollautomatisch“, erklärt Felix Sackenreuter. Eine 3-D-Kamera überwacht den gesamten Vorgang; sorgt dafür, dass der Roboter-Arm die vier Melkbecher der Maschine millimetergenau an die Zitzen setzt, sie reinigt und dann die Milch sanft abpumpt.

Den Kühen scheint’s zu gefallen. Zumal sie während der Prozedur – ebenfalls vollautomatisch – ein Leckerli gereicht bekommen. 100 Hektar bewirtschaftet Felix Sackenreuter. Zuckerrüben, Klee, Gras, Luzerne, Mais und Getreide. Zu den 75 Milchkühen kommen 400 Schweine und, kleines Beiwerk, 25 Hühner. „Ohne den Einsatz modernster Technik wäre das sonst nur mit erheblich mehr Personal möglich“, sagt der Landwirt.

Zu den High-Tech-Werkzeugen zählt neben dem Melk-Roboter auch ein Ausmist-Roboter, nach dem Motto: Überlass den Sch… doch der Maschine. Gemessen an der Sauberkeit des Stallbodens leistet der ganze Arbeit. Außerdem trägt jede Kuh ein Halsband mit Fitness-Tracker: Gesund? Kränkelnd? Für Nachwuchs bereit? Der Computer weiß es. Und, ganz wichtig: „Unsere Traktoren“ (im Fränkischen heißt das „Bulldog“) „werden per GPS gesteuert“, erklärt Felix Sackenreuter.

Der normale Arbeitsalltag beginnt um 6.30 und endet um 19 Uhr

Das erlaubt vollautomatisches Fahren auf dem Feld. „Früher musste man stundenlang hochkonzentriert darauf achten, die Spur zu halten“, so Sackenreuter. Heute steuert die Satelliten-Navigation. „Viel entspannter“, so die Erfahrung des Landwirts, „so kann ich auch mal bis 2 oder 3 Uhr morgens auf dem Bulldog bleiben“. Wie bitte? „Naja, ist ja nicht jede Nacht so. Normalerweise geht der Arbeitstag von 6:30 bis 19 Uhr.“ Urlaub? „Wir nehmen uns schon mal eine Woche frei und fahren mit den drei Kindern weg“, sagt Felix. Möglich sei das, weil seine Eltern dann für ihn und Carolin einspringen.

Noch immer werden 16,6 Millionen Hektar in Deutschland landwirtschaftlich genutzt, die Hälfte der Gesamtfläche des Landes. Die Arbeit der bäuerlichen Betriebe hat einen enormen Einfluss auf Böden und Gewässer, Luft und Klima – und damit auf biologische Vielfalt und die Gesundheit von Mensch und Tier.

Deshalb ist es wichtig für alle, wie sich die Landwirtschaft in den kommenden Jahren entwickelt. „Die Politik muss klarere Perspektiven aufzeigen, welchen Stellenwert die Landwirtschaft in Zukunft haben soll“, fordert Felix Sackenreuter. Ökonomische Notwendigkeiten, ökologische Anforderungen und gesellschaftliche Erwartungen müssen dabei berücksichtigt werden.

Tiere und Pflanzen wachsen sehen, andere Menschen ernähren: Das fühlt sich gut an…

Felix und Carolin Sackenreuter betreiben ihren Naturhof mit Leidenschaft. „Wenn ich die Pflanzen wachsen sehe, die Tiere füttere, dann spüre ich: Ich habe das im Blut“, sagt Felix. „Ich bin in der Natur; meine Arbeit ernährt Menschen – das fühlt sich schon gut an.“ Milch, Joghurt, verschiedene Arten von Käse verkauft die Familie in mehreren Geschäften der Umgebung, dazu im eigenen Hofladen, der direkt am Jakobsweg liegt und viele Pilger einkehren lässt.

„Wenn du das ganze Jahr hart arbeitest, auf dem Feld und im Stall, und dabei ständig bangen musst, ob die Ernte gelingt, ob die Tiere gesund aufwachsen, dann macht das etwas mit dir“, sagt der Landwirt. Vielleicht, meint Felix, der Mitglied im Kirchenvorstand der Gemeinde ist, hätten die Bauern ja deshalb ein Gespür dafür, dass das Gelingen von Leben und Ernte letztlich nicht in der eigenen Hand liege.

So, wie es in dem alten Gesangbuchlied heißt, das seine Mutter Karin zu Erntedank schon oft mit dem Kirchenchor gesungen hat, den sie leitet:
Wir pflügen, und wir streuen den Samen auf das Land,
doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand.
Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn,
drum dankt ihm, dankt, drum dankt ihm, dankt
und hofft auf ihn.