“Willy – Verrat am Kanzler”: Frauen erzählen deutsche Geschichte

“Willy – Verrat am Kanzler” ist kurzweiliges Geschichtsfernsehen mit Zeigefinger. Und zeigt, wie öffentlich-rechtliches Bildungsfernsehen auch geht. Zuerst als Vierteiler in der Mediathek, jetzt als 90-Minüter in der ARD.

Im Mai jährt sich der Rücktritt von Bundeskanzler Willy Brandt zum 50. Mal. Könnte Anlass genug sein für das deutsche Geschichtsfernsehen, sich mit einer handelsüblichen Dokumentation dem Ereignis zu widmen. Hat es zum Glück aber nicht, jedenfalls nicht handelsüblich.

Dafür hat der RBB einen rasanten wie haltungsgeprägten Vierteiler für die ARD-Mediathek produziert, der dort seit dem 24. April zum Abruf steht. Am Montag läuft dann eine 90-minütige Fassung ab 22.50 Uhr im Ersten. “Willy – Verrat am Kanzler” ist eine posthume Heiligsprechung und geht als solche völlig in Ordnung.

Erzählt wird das Ganze mit lustigen Sprüngen durch die Zeitgeschichte. In der ersten Folge geht es um den “Superspion” – so der Untertitel Günter Guillaumes, der als ganz durchschnittlicher Kundschafter des anderen Deutschland in der BRD anfängt und plötzlich als persönlicher Referent ganz dicht am Kanzler ist. Fast genauso wichtig ist dabei aber seine Frau Christel, die anfangs gegen den eher lahmen Günter brilliert und im Sinne der Stasi bei der hessischen SPD Karriere macht.

1974 ist damit Schluss, die Guillaumes werden festgenommen. Aufgeflogen waren sie schon deutlich früher, bloß mit der verwertbaren Beweislage sah es mau aus. Weshalb die Sicherheitsdienste der Bundesrepublik den eigenen Kanzler zum Lockvogel machten und Guillaume weiterarbeiten, Brandt über all dies aber im Unklaren ließen.

Denn – wie die “Sonderzug” betitelte Folge 3 zeigt – das beschauliche Bonn war Anfang der 1970er Jahre ein Intrigenstadl sondergleichen – und Brandts eigene Partei mittenmang dabei. Herbert Wehner wollte als Fraktionsvorsitzender die dem Kanzler zustehende Richtlinienkompetenz lieber selber haben, Finanzminister Helmut Schmidt hatte mit Willy B. auch so seine Probleme. Denn Brandt war Visionär, während der ultimative Realpolitiker Schmidt Menschen mit Visionen bekanntermaßen lieber zum Arzt schicken wollte. Dazu rumorte es gewaltig wegen Brandts Ostpolitik, die knapp 30 Jahre nach Kriegsende die Gemüter erhitzte.

Das alles bereitet “Willy – Verrat am Kanzler” knapp, präzise und höchst unterhaltend auf. Die historische Herleitung übernimmt Folge 2 (“Nie wieder Krieg”), die höchst merkwürdige Aufarbeitung der Spionageschlappe (Sicht West) und die weitere Karriere des erfolgreichsten Kundschafters der DDR (Sicht Ost) folgt in der letzten Folge (“Intrigen”).

Während Politik damals noch mehr als heute Männerdomäne war, kommen in der Doku von Jan Peter und Sandra Naumann – von längeren Archivaufnahmen des DDR-Fernsehens mit Günter Guillaume mal abgesehen – ausschließlich Frauen zu Wort. Protagonistinnen von damals wie die heute in Griechenland lebende Journalistin und Vertraute Brandts, Heli Ihlefeld. Oder die ehemalige DDR-Spionin Lilli Pöttrich, die die Stasi bis Ende 1993 im Auswärtigen Amt platziert hatte und die sehr lebensnah darüber reflektiert, warum eine junge Frau überhaupt Spionin wird.

Aus dem hier und heute sind die Autorin und Podcasterin Yasmine M’Barek, RBB-Moderatorin Eva-Maria Lemke und die Historikerin, Bestsellerautorin und DDR-Spezialistin Katja Hoyer an Bord. Und so spielt Politik zwar eine Rolle, aber vor allem Willy Brandt als Mensch und Mann. Dem, wie schon der Titel “Willy – Verrat am Kanzler” zeigt, ziemlich übel mitgespielt wurde.

Das ist bestes öffentlich-rechtlichen Bildungsfernsehen, sogar mit Zeigefinger, das trotzdem oder gerade deswegen Spaß macht. Und zwar generationsübergreifend, auch wenn Jan Peter und Sandra Naumann natürlich vor allem die junge Zielgruppe im Blick haben – und hoffentlich auch erreichen. Gerne mehr davon!