In Magdeburg beginnt der Mammutprozess um den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt vor einem Jahr. Erstmals dem Todesfahrer ins Gesicht sehen – das macht vielen Zeugen Angst. Wie Doreen Rosenbaum und ihr Team hier helfen.
“Ob Rettungssanitäter, Polizist, Beobachter oder verletzter Betroffener – für alle Zeugen wird dieser Prozess eine psychisch-emotionale Belastung, schon allein der Dimension wegen”, sagt Doreen Rosenbaum. Die Sozialpädagogin mit Zusatzausbildung in psychosozialer Prozessbegleitung koordiniert die Zeugenbetreuung im Strafprozess gegen den Amokfahrer vom Magdeburger Weihnachtsmarkt, der an diesem Montag am Magdeburger Landgericht mit allein knapp 180 Nebenklägern beginnt. “Wir sind die, die sich um den seelischen Zustand der Zeugen kümmern und versuchen, sie zu stabilisieren”, beschreibt Rosenbaum die Aufgabe ihres Teams aus 33 Kolleginnen und Kollegen.
Bei der Tat am 20. Dezember vergangenen Jahres kamen sechs Menschen ums Leben, mehr als 300 wurden teils schwer verletzt. “Die Zeugen, mit denen wir bereits Kontakt haben, sind teils wahnsinnig aufgeregt so kurz vor Prozessbeginn. Und sie treiben verschiedene Ängste um. Erstmals dem Täter ins Gesicht zu sehen…”, erzählt die 52-Jährige, die schon Zeugenbetreuerin im Prozess um den Halle-Attentäter war, der 2019 versucht hatte, ein Blutbad in einer Synagoge anzurichten. “Die Begegnung mit dem Täter ist für viele ein sehr beklemmendes Gefühl. Viele haben auch Angst, dass jetzt wieder was passiert, er wieder irgendwas machen könnte.”
Rosenbaum erläutert Zeugen bei solchen Ängsten die hohen Sicherheitsvorkehrungen im Saal: “Der Angeklagte trägt die ganze Zeit Hand- und Fußfesseln. Aber bei den Betroffenen gibt es trotzdem große Restzweifel.” Hier komme es auf ein behutsames Heranführen an, wozu eine Vorabbesichtigung der Örtlichkeiten, des Gerichtssaals gehört.
Ein spezieller Moment, wie Rosenbaum berichtet, denn allein der Saal misst 60 mal 35 Meter. Der Verhandlungsort wurde in Leichtbauweise eigens für diesen Prozess gebaut, um genug Platz für alle Beteiligten zu haben. Im Saal gibt es je 100 Plätze für Presse und Zuschauer und 450 Plätze für die Nebenklage. Sachsen-Anhalts Justizministerin Franziska Weidinger (CDU) erwartet eines der größten Strafverfahren der deutschen Nachkriegsgeschichte.
“Vielen Zeugen wird die Dimension des Ganzen bei der Besichtigung noch mal so richtig bewusst und manchen macht das dann auch Angst”, erzählt Rosenbaum. “Für die sind auch die zu erwartenden Menschenmaßen eine enorme Belastung. Manche haben durch die Tat soziale Phobien oder Klaustrophobie entwickelt – Belastungsstörungen, die immer noch vorhanden sind.”
Wer als Zeuge zum Prozess geladen wird, bekommt gleichzeitig die Information, dass es eine Zeugenbetreuung gibt. Manche melden sich dann direkt bei Rosenbaum und ihrem Team, andere erst im Prozess. In Vorgesprächen hört sich Rosenbaum die Fragen und Ängste an, auch um später gegebenenfalls die Richter zu sensibilisieren. “Dann kläre ich natürlich auch auf, was die Rechte und Pflichten von Zeugen sind. Dass sie auch Unterbrechungen haben können”, sagt Rosenbaum. Sie hat eine ruhige und klare Art. “Ich erläutere die Abläufe, wer wo sitzt, wie so eine Gerichtsverhandlung und Zeugenvernehmung abläuft.”
Dazu gehört auch die Info, dass der Angeklagte den Zeugen Fragen stellen darf, wenn sie im Zeugenstand sitzen. “Das wissen nicht alle und sagen dann: ‘Ich will das nicht!’ Dann erkläre ich ihnen, dass es zu seinen Rechten gehört. Er aber natürlich nicht mit irgendwelchen Kommentaren die Verhandlung stören darf, und dass der Richter das dann auch unterbindet.” Das sei auch eine Sorge, die viele Zeugen umtreibe: “Dass der Angeklagte den Prozess als Bühne benutzt.”
In den Zeugenstand während der Verhandlung müssen die Zeugen nicht allein. Rosenbaum oder jemand aus ihrem Team sitzt direkt daneben. “Wer möchte, bekommt Hilfsmittel von uns zum Stressabbau, etwa Akupressurringe oder irgendwas zum Knautschen.” Eines ist allerdings während der Zeugenbefragung für die Zeugenbegleiter tabu: “Keine Berührung, kein Streicheln oder Handauflegen – auch wenn der Zeuge zu weinen beginnt. Denn das könnte eine suggestive Wirkung haben und unzulässig die Aussage beeinflussen.”
Bis Mitte März sind 47 Verhandlungstage angesetzt, in der Regel drei pro Woche. “Teils mit 10 bis 12 Zeugen pro Tag – da haben wir viel zu tun”, berichtet Rosenbaum. “Da ist es wichtig, dass wir uns am Ende des Tages als Team auch noch mal gutes Feedback geben und uns für den nächsten Tag positiv pushen.” Trotz allem professionellen Umgang sei man natürlich tagtäglich mit sehr viel Leid und emotionaler Belastung konfrontiert.
“Also ich empfinde kein Mitleid, sondern Mitgefühl. Das ist etwas anderes. Ich will nicht mit den Zeugen leiden”, erklärt Rosenbaum ihren Umgang mit dem Ganzen. “Natürlich sind die Sachen teilweise emotional belastend, aber die spielen glücklicherweise dann in meinem Privatleben keine Rolle mehr.” Selbstfürsorge sei in diesem Job schon wichtig. Rosenbaum nutzt dafür professionelle Beratung, aber vor allem ihre Partnerschaft und Freunde seien ein elementar wichtiger Gegenpol.